[Vorsicht! Langes Lesestück fast ohne Bilder] Schon lange vor der Schlusssirene hatten wir uns durch die Massen auf der Gegentribüne gekämpft, bis hinunter an die Bande. Mein Freund Heinz und ich, wir wollten den Helden nahe sein, die gerade wieder deutscher Meister geworden waren: Peter-John Lee, Chris Valentine, Rick Amann, Gerd Truntschka, Didi Hegen, Helmut de Raaf. Dann das Signal, und obwohl die wunderschöne DEG nun schon zum dritten Mal nacheinander den Titel geholt hatten, brach ein Jubel aus, der wie ein Tsunami durchs halboffene Eisstadion an der Brehmstraße tobte. Und während wir auf die Spieler warteten, überfiel mich ein Heulkrampf. Emotionaler Overkill. Ich musste raus.
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Es war an einem Vorfrühlingssonntag, am 22. März 1992. Das Ende der ersten und einzigen Saison, in der ich Heinz davon überzeugen konnte, regelmäßig in den Tempel zu fahren, sich mit mir unter die rotgelben Fans zu mischen, den vermutlich größten Eishockeyclub Deutschlands mit seinem Wunderteam der Neunziger zu sehen und anzufeuern. Nur drei Playoff-Partien brauchten Valentine & Co. gegen den Sportbund Rosenheim, dann hielten sie den Pott wieder in den Händen, trugen den Metzgermeister Hans Zach, ihren Coach, auf den Schultern übers Eis, während sogar die feinen Leute auf der Sitztribüne ihre Gefühle zeigten.
Aus heutiger Sicht denke ich, so ähnlich muss sich das Jahr für Jahr für Bayern-Fans anfühlen, wenn die Mannschaft durch die Liga fegt und am Ende wieder Meister ist. Aber Heinz, der aus dem Schwarzwald kommt und das dortige Hockey in Freiburg und Schwenningen kennt, sah das ganz anders. Er war nach dieser Saison völlig überwältigt davon, wie tief die DEG in den Herzen der Düsseldorfer verankert war. Niemand konnte ahnen, dass es nur drei, vier Jahre eine Wende zum Negativen mit dem deutschen Eishockey geben würde und die DEG beinahe für immer in der Versenkung verschwunden wäre.
Vati ist schuld
Wie so oft trägt mein 1967 viel zu früh im Alter von nur 43 verstorbene Vater die Schuld. Der war ein großer Sportliebhaber und besonders dem Fußball zugeneigt, ohne Fan eines bestimmten Vereins, nicht einmal der Fortuna zu sein. Aber auch andere Sportarten interessierten ihn, und weil wir ab 1961 an der Tussmannstraße wohnten, kaum 600 Meter Luftlinie vom Eisstadion entfernt, besuchte er gern die Spiele dort. Es wird in dem Winter gewesen sein, in dem ich zehn Jahre alt geworden war, da nahm er mich mit. Wir marschierten über die Franklinbrücke, dann die Rethelstraße hinab bis zum Brehmplatz, genau wie gut 10.000 Anhänger des 1935 gegründeten Eislaufclubs.
Es ging gegen Preußen Krefeld, denn damals hatte die Seidenstadt zwei beinahe gleich starke Teams in der Oberliga. Wir hatten sogenannte „Geländesitze“ und hockten auf Bänken direkt hinter der Plexiglasscheibe in der Nordostkurve. Ich war zu klein, um über die Bande zu sehen. Nur manchmal tauchten die Gesichter von zwei, drei Spielern hinter der Scheibe auf, damals natürlich noch ohne Helm. Dafür aber mit Zipfelmützen, denn an diesem Abend ging ein ziemlich kalter Regen über dem noch nicht überdachten Eisstadion nieder. Deshalb gab es alle paar Minute eine Unterbrechung, und die Eismacher sorgten mit Rechen und breiten Besen dafür, dass das Eis bespielbar blieb.
Es war laut, es war wild, was war faszinierend. Weil die Fans damals bei jedem Tor für die DEG Silvesterraketen abfeuerten, die hoch über die Brehmstraße aufstiegen, wussten wir auch ohne die Radioübertragung zu verfolgen immer, wie viele Goals für die Rotgelben gefallen waren. Denn natürlich konnte man von unserer Terrasse in der fünften Etage das Feuerwerk prima sehen. Später rannte mein älterer Bruder nicht selten los, wenn er den Beginn des letzten Drittels vermutete, weil er wusste, dass man dann ohne Eintrittskarte reinkam. Dann waren die Tore im Süden zum Zoopark und im Westen zur Brehmstraße schon weit offen für die Massen, und Ordner waren keine mehr zu sehen.
Angefixt von der DEG
Angefixt waren wir natürlich sehr. Dann kam der Winter 1965/66. Die DEG hatte für viel Geld die bayerischen Stars Otto Schneitberger und Sepp Reif an den Rhein geholt, dazu weitere erfahrene Spieler von den dominierenden Vereinen im Süden. Und obwohl die Superstars noch gar nicht spielberechtigt waren, stieg die DEG in die Bundesliga auf. Der Wahnsinn begann, plötzlich war Eishockey in Düsseldorf das, was man heute „Kult“ nennen würde. Besonders unter jungen Leuten, besonders in der Altstadt und in der Szene der Beat-Musik. Und jeder wollte beim ersten Heimspiel dabei sein.
Es wird Mitte oder Ende Oktober gewesen sein, es ging gegen den EV Füssen, den amtierenden deutschen Meister. Waren die Spiele in der Oberliga erst kurz vor dem Aufstieg öfter mit um die 8.500 Zuschauern ausverkauft, wollten jetzt nicht nur die 10.000, die nach Erweiterungs- und -umbauten ins Stadion passten, diese Partie sehen, sondern bestimmt 20.000 oder gar 30.000 Düsseldorfer. An dem Tag, an dem der Vorverkauf stattfand, ging ich mit meinem Bruder hin. Es gab auf der Südseite am Parkplatz genau eine Kasse für Jugendkarten, und dort standen wir an. Ich bin nicht sicher (und mein Bruder wird es bestreiten), aber in meiner Erinnerung ergatterte er die letzte Karte, und ich ging leer aus.
Nachmittags im Eisstadion
Aber so oft es ging, wanderten wir nun hinüber ins Eisstadion. Übrigens nicht nur zum Eishockey. Ich hatte in diesem Jahr, also 1966, das Schlittschuhlaufen für mich entdeckt und verbrachte im Winter fast jeden Nachmittag unter der Woche drüben an der Brehmstraße. Die Schlittschuhe lieh man sich bei Hans Kasper, dessen Laden bis heute vorne im Gebäude der Haupttribüne existiert, und wer eigene Skater besaß, der ließ sich „beim Kasper“ einen professionellen Hohlschnitt verpassen. Und dann ging’s auf Eis. Mangels Alternativen war das Eisstadion damals ein enorm wichtiger Treffpunkt für Jugendliche, die auf der Suche nach Kontakten zum jeweils anderen Geschlecht waren.
Meist standen die Mädchen grüppchenweise an der Bande, und die Jungs versuchten sie mit ihren Künsten zu beeindrucken, also mit Rückwärtslaufen, Sprungwenden und Kanadierbögen zum Anhalten. Die frechsten bremsten so vor den Damen, dass die vom aufspritzenden Eis nass wurden. Die Frage hieß dann: „Na, laufen wir ne Runde zusammen?“ Und wer mit ein und demselben Mädchen ein paar Runden nebeneinander gedreht hatte und dachte, es können noch netter sein, der lud sie zu einem Schälchen Pommes vom Kreutzer ein. Das Sportrestaurant Kreutzer war in die Südwestecke des Stadions integriert, aber die Wirtsleute betrieben zwei Imbissbüdchen direkt an der Eisfläche. Nie haben frittierte Kartoffelstäbchen besser geschmeckt als dort und an der Seite eines netten Mädchens. Am besten ganz hinten am Ende der Außeneisfläche, wo es Bänke gab, die im Halbdunkel lagen, und man auch mal ungestört knutschen konnte.
[Fortsetzung folgt.]