Aus heutiger Sicht kann es sich wohl kaum ein Bürger der schönsten Stadt am Rhein vorstellen, in welchem Maße der Mannesmann-Konzern noch in den Siebzigerjahren Düsseldorf dominierte. Vor allem natürlich durch die ausgedehnten Werke in Rath und Umgebung. Ein Statistik besagt, dass Mannesmann in jenen Jahren der Arbeitgeber mit den meisten Jobs in der Stadt war. Denn neben den Produktionsanlagen gab es eben auch noch die Firma Mannesmann Export, die sich als internationaler Dienstleister rund um Handel und Anlagenbau verstand. Dieser Arm des Konzerns hatte seinen Sitz an der Kasernenstraße und an der Westseite der Kö. Dieses Unternehmen war damals an Dutzenden gewaltiger Bauprojekte rund um Erdölförderung, -verarbeitung und -transport beteiligt – u.a. in Nigeria und im Irak. Tatsächlich betreute Mannex, wie der Laden bei Insidern hieß, praktisch den Aufbau der gesamten irakischen Ölproduktion. Anlagen der Förderung von Kurdistan bis Kuwait wurden von Mannesmann geplant und durchgeführt, Pipelines und Pumpstationen, Raffinerien und Verladehäfen. Dieses Projekt war so riesig, dass zig Dienstleister Teiljobs übernahmen. So saß im Souterrain des Hauses Königsallee 33 in einem Büro für sich das Team einer kleinen Unternehmensberatung, deren Aufgabe es war, die Infrastruktur zur Produktion und Verteilung der Dokumentation aufzubauen und zu betreuen.
Man muss sich das so vorstellen, dass alle Anlagen schlüsselfertig und komplett geliefert wurden, einschließlich aller Geräte und Werkzeuge. Für jeden Typ Taschenlampe, der in irgendeinem Pförtnerbüdchen irgendeiner Anlage hing, wurde ein eigenes Handbuch verfertigt, vervielfältigt, abgeheftet, verpackt und in den Irak verschickt. Sogar für die Wasserspülung der Toiletten gab es Manuals, denn die Arbeiter dort kannten diese Art des Aborts ja nicht.
Übers Arbeitsamt fand ich eine Stelle genau bei diesem Team – und zwar als Fotokopierer. Meine Aufgabe war es, so schnell wie möglich einige Tausend solcher Manuals zu kopieren und abzuheften. Für den Job, der auf acht bis zehn Wochen berechnet war, sollte ich die für damalige Zeiten unvorstellbar hohe Vergütung von 3.000 DM bekommen. Tatsächlich war ich nach sechs Wochen fertig und finanziell saniert. Außerdem offerierte man mit eine Anschlusstätigkeit, die ich während des Studiums ausüben konnte. Insgesamt machte es dieser Traumjob möglich, einen jungen, gebrauchten VW Käfer des Typs 1303 anzuschaffen (der mir später gestohlen wurde, aber das ist eine andere Geschichte…).
Quasi mit Jobgarantie
Und weil ich mich ganz anstellig zeigte und nach und nach immer mehr echte Mannesmann-Leute kennenlernte, hatte ich quasi eine Jobgarantie. Und das in einer Firma, in der insgesamt mehr gefeiert als gearbeitet wurde. Die Nähe zur Altstadt brachte ausgedehnte Mittagspausen in der dortigen Gastronomie mit sich, und irgendwer hatte immer Geburtstag. Am schlimmsten trieben es die Ingenieure, die gerade von der Baustelle – so drückten sie das aus – kommend zum Innendienst verdonnert waren. Einer von denen, ein Typ, der außerhalb der Dienstzeit als wahrer Hippie rumlief, adoptierte mich quasi als seinen Butler. Dieter G. übergab mir die Schlüssel zu seinem feuerroten Japanflitzer der Marke Datsun und ließ sich von mir chauffieren. Er bewohnte ein Appartement im Haus an der Flinger Straße, in dem damals ein Supermarkt untergebracht war. Mit ihm zog ich durch die Kneipen, und fast jeden Abend schleppte er eine Frau ab. Und wenn ich selbst zu besoffen war, um nach Hause zu finden, übernachtete ich in seiner Bude.
Ab 1977 wurde es dann noch wilder. Man hatte die Firma in Mannesmann Anlagenbau umbenannt, und das Irak-Projekt neigte sich dem Ende zu. Und immer noch waren zigtausende Pläne, Handbücher, Leitfäden, Inventarlisten und ähnliches Zeug zu produzieren und anzuliefern. Und da von der Abwicklung deses Teils die letzten große Zahlung durch die Auftraggeber abhing, war der Druck so groß, dass zwei Taskforces namens Poc A und Poc B eingerichtet und durchweg mit Aushilfen bestückt wurden.
Ich war zunächst Poc A zugeteilt und hatte meinen Arbeitsplatz wieder im Haus Kö 33. Im Herbst 1977 wechselte ich zu Poc B. Diese Mannschaft saß im Haus Kö 34a, schräg gegenüber auf der Ostseite an der Ecke zur Königsstraße. Hier lernte ich dann die verrückteste Truppe kennen, die Mannesmann damals zu bieten hatte. Unter der Leitung eines ambitionierten Jungspunds tobten dort sechs Leute rum, die ihr Abitur auf dem zweiten Bildungsweg am Riehl-Kolleg zu machen gedachten. Die waren fröhlich, trinkfest und arbeitsscheu.
Wer immer die Planung zu verantworten hatte, muss völlig ahnungslos in Bezug auf den tatsächlichen Aufwand gewesen sein. Grob gesagt erledigten wir unser Tagespensum in maximal zwei Stunden und widmeten uns dem Unfug und dem Trunk. Unser Teamleiter Bernd W. versuchte gelegentlich uns Disziplin abzufordern, scheiterte aber kläglich. Es waren fröhliche Tage, die sich bis in den Frühsommer hinzogen. Mittlerweile hatten wir eine WG in Straberg bei Dormagen gegründet, und so gingen Leben und Arbeit nahtlos ineinander über.
Und das als Punk…
Jung geschieden hatte ich mich schnell für das begeistert, was man wenig später Punk nennen würde. Diese Bewegung fand in Düsseldorf bekanntlich auf der Ratinger Straße statt, und ich war mittendrin. Der legendäre Ratinger Hof war ab Sommer 1976 im Umbruch. Bis dahin galt der Laden eher als Hippie- und Rockerkneipe mit versifften Orientteppichen und durchgesessenen Sofas. Jetzt wurde alles, was gemütlich war, rausgeschmissen. Die Wände wurden weiß gestrichen, die Beleuchtung durch kaltes Neonlicht ersetzt. Ein Fernseher, der oben an der Decke befestigt war, zeigte das aktuelle Programm, allerdings ohne Ton. So sah ich denn auch die Olympiade von Montreal in voller Länge, hörte aber nichts davon.
Die Musik, die man dort spielte, war wild und grob. Aber als alter Fan von Bands wie MC5 oder den Stooges gefiel mir das. Vielleicht begann der Punk hier mit dem Konzert der verrückten Band namens Wire – meiner Erinnerung nach im März 1977. Ich nahm sofort die Kleiderordnung dieser und andere Bands an, die – noch unbefleckt vom ganzen modischen Chichi, den später Westwood und McLaren per Sexpistols propagierten – schlicht darin bestand, möglichst schmuddelig und unmodisch rumzulaufen. Meine bevorzugten Kleidungsstücke waren ein rotes Fußballtrikot mit der Nummer 7, das aber keinem Verein zugeordnet war, und ein dunkelblauer Nickipullover, der mir fast bis zu den Knien hing und durch diese Dehnung eine Ansammlung von Löchern war. Meine Mutter nannte dieses Teil den „Sternenhimmel“. Und natürlich lief ich so auch im Büro auf, was aber niemanden störte.