Bericht · Als die Namenlose dem Publikum erzählt, dass sie vor ihrer Jagdhütte Krähen beobachtet hat, geht ein amüsantes Raunen durch die Reihen. Hatte doch bereits kurz zuvor in derselben Kulisse eine Krähe ihr Unwesen getrieben. Aber das war in einem anderen Stück: „Trauer ist das Ding mit Federn„. Jetzt (ver)läuft hier „Die Wand„. Unsichtbar, aber trotzdem präsent. [Lesezeit ca. 5 min]
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Das Düsseldorfer Schauspielhaus setzt sein maskiertes Publikum einer mehr als dreistündigen Doppel-Premiere aus mit der vorgegebenen Klammer „Der Welt abhandenkommen“. Zwei Stücke mit vielen Kletterakten im doppelten Wortsinn. Es ist eng im Kleinen Haus. Und stickig. Das liegt an der feuchten Kulisse: Eine Wasserfläche, in der in beiden Stücken nicht fröhlich, sondern verzweifelt geplanscht wird, aus der symbolträchtig ein riesiger, abgestorbener und entwurzelter Baum ragt, der in beiden Stücken zum vieldeutigen Klettergerüst wird. Balance in Leben finden, wiederfinden und vielleicht behalten, das erfordert auch körperliche Anstrengungen. Doch eigentlich ist es überflüssig, nach Gemeinsamkeiten zu suchen, denn die beiden Stücke werden später getrennt, jedes für sich abendfüllend aufgeführt, was denn auch fürs Publikum bekömmlicher sein dürfte.
Laura Linnenbaum (die in Düsseldorf bereits „Der zerbrochene Krug“ und „Maria Stuart“ inszenierte) hat sich zwei eigenständige literarische Texte vorgenommen. Zum einen den Debütroman des englischen Autors Max Porter als deutschsprachige Erstaufführung. Ein Vater trauert mit seinen beiden halbwüchsigen Söhnen noch um seine verstorbene Frau, als eine Krähe anklopft und Einlass nicht fordert, sondern sich sogleich verschafft, mitten ins ungeordnete Leben der vom Tod der Mutter zerrissenen Familie.
Die Präsenz von Kilian Ponert als exotischer, fast nackter Vogel ist eine Schau für sich. Völlig beflügelt von seiner Rolle als flatterhafter Fremdkörper ist Ponert oft kaum einen Flügelschlag von der Obszönität entfernt. Mal krümmt er seine Krallen, als suche er Halt im toten Baum, von dem er sich auf was und wen auch immer stürzen mag, dann wieder verbiegt er die Hände verführerisch kapriziös wie eine Tempeltänzerin, krächzt täuschend echt wie eine Krähe, schüttelt sein imaginäres Gefieder. Als er mal für wenige Augenblicke den Schnabel hält, um sich zu putzen, rasiert er sich die Beine mit einem billigen orangefarbenen Einmalrasierer.
Der bei so viel wilden Flügelschlag anfangs wie gelähmt wirkende Dad (Thimo Schwarz) trägt schwer an Trauer und Bademantel, aus dem zwei hilflose Arme wie abgestorbene Äste baumeln, gerät dann aber über den komischen Vogel immer mehr in Rage, bis er den Bühnenboden in eine Wasserrutsche verwandelt, in der er erschöpft aber irgendwie befreit zusammenbricht. Auch seine Söhne (Nils David Bannert und Jacob Zacharias Eckstein) nehmen erst während des Stücks Fahrt auf. Die jungen Darsteller sind Studierende des Schauspielstudios Düsseldorf. Wenn sie anfangs noch etwas linkisch und vergesslich erscheinen mögen, so passt das prima zur Rolle. Sie haben im Stück ja gerade ihre Mutter verloren, dafür im Publikum eine jubelnde Fan-Gemeinde platziert. „Ich gehe erst wieder, wenn Du mich nicht mehr brauchst“, hat die Krähe zum Vater gesagt. Drohung, aber auch ein Versprechen an die der Welt Abhandengekommenen.
Im zweiten Teil des Abends kehrt das Bild der Krähe, dieses intelligenten mythischen Vogels, wieder in „Die Wand„. Laura Linnenbaum inszeniert den Roman von Marlen Haushofer als Monolog mit Hanna Werth, die als hinter die unsichtbare Wand Verbannte allein vom Text her schon eine großartige Leistung hinlegt.
„Wenn mich jemand nach den zehn wichtigsten Büchern in meinem Leben fragen würde, dann gehörte dieses auf jeden Fall dazu“ hat Elke Heidenreich gesagt über Haushofers Hauptwerk, das 2012 mit Martina Gedeck verfilmt worden ist. Im Film kommt die Stimme aus dem Off, und bei einer einsamen Lektüre des Dramas setzt das Kopfkino ein, wenn die namenlose Protagonistin in der Landschaft ihres Lebens urplötzlich an eine unsichtbare Wand stößt „einen glatten, kühlen Widerstand an einer Stelle, an der gar nichts sein konnte als Luft“. Das kann auch auf der Bühne funktionieren, untermalt von undurchdringlichen Nebelschwanden und drohenden Klängen.„Die Zeit vergeht nicht, sie steht still, und ich bewege mich in ihr“. Das gelingt Hanna Werth in sämtlichen Kapiteln von leisen, zusammengekauerten Tönen bis hin zu einem symbolischen wilden Überlebenskampf im Wasser. Voller Aktionismus, den die raue Natur der Rolle diktiert, der aber auch vom Schicksal ablenkt – Alm Auf- und Abtrieb, Wiese mähen, Kalb zur Welt bringen, Zündhölzer sparen – spielt sie gegen die Wand. Fröstelnd vom Wasserbad nimmt sie den wohlverdienten Applaus entgegen – im Bademantel. Aber wir wollten doch keine Vergleiche mehr zwischen den Stücken anstellen.
Düsseldorfer Schauspielhaus
Gustaf-Gründgens-Platz 1
Kleines Haus
Trauer ist das Ding mit Federn: So, 16.01., 16:00; Di, 25.01., 20:00
Die Wand: Mi, 29.12., 20:00; Di, 11.01., 20:00 (19:15 Einführung); Mi, 02.02., 20:00