Wir wissen nicht, ob der Benrather Heinrich August Piel glühender Nazi war, aber dass er bereits vor 1933 Mitglied der NSDAP und Fördermitglied der SS war. Im Rahmen der sogenannten „Entnazifizierung“ saß er nach 1945 ein halbes Jahr im Knast und war mit einem fünfjährigen Berufsverbot belegt. Als er wieder als Produzent, Regisseur und Schauspieler arbeiten durfte, war schon knapp sechzig und durchaus kein gebrochener Mann. Nur, das deutsche Kinopublikum, das hatte ihn wohl vergessen, und so ging seine wiedergegründete Filmfirma „Ariel“ gleich zweimal nacheinander den Bach runter. Piel war pleite und unten durch. 1960 wurde er Witwer und 1961 starb er ziemlich einsam in München. Und doch: Dieser Harry Piel, der alle seine Stunts selbst absolviert hat, muss als Erfinder des Action-Films gefeiert werden.

Harry Piel als Dandy auf dem berühmten Foto von Alexander Binder

Harry Piel als Dandy auf dem berühmten Foto von Alexander Binder

Eigentlich wollte der junge Mann, der aus gutbürgerlichem Hause stammte, zur kaiserlichen Marine und fuhr ab 1909 auch tatsächlich als Kadett auf einem Segelschulschiff. Aber dann wurde er wegen eines vermeintlichen Herzfehlers ausgemustert und landete nolens-volens in einer kaufmännischen Lehre. Das kann dem stämmigen, abenteuerlustigen Haudrauf nicht geschmeckt haben. Also brach er die Ausbildung ab und ging nach Paris, um Flieger zu werden. Das war 1911 tatsächlich noch ein Beruf für die ganz harten und wagemutigen Kerle – und dass sie das Handwerk vor allem im Weltkrieg würden ausüben müssen, konnten sie noch nicht ahnen. Warum auch das für Harry Piel nicht hinhaute, ist nicht bekannt. Jedenfalls gründete er 1912 in Berlin die Kunst-Film-Verlags-Gesellschaft und begann, Filme zu machen.

Filmplakat "Menschen, Tiere, Sensationen"

Filmplakat „Menschen, Tiere, Sensationen“

Weil er Produzent, Drehbuchautor und Regisseur in einer Person war, kann man ihn getrost als den ersten Autorenfilmer der Geschichte betrachten. Gleich sein erste Langfilm, ein Streifen namens „Schwarzes Blut“ mit dem großen Curt Goetz in der Hauptrolle, dem späteren König der Filmkomödienschreiber. An die 100 Stummfilme drehte Piel, und weil er mehr Action wollte und keine geeigneten Schauspieler fand, wurde er eben Schauspieler in seinen eigenen Filmen. In den Zwanzigerjahren wurde er berühmt als „Dynamit-Regisseur“, weil in seinen Streifen fast immer etwas in die Luft flog. Überhaupt war er ein fortschrittsgläubiger Mensch, etwa so wie die italienischen Futuristen, die sich für jede technische Entwicklung begeisterten und an eine glückliche Zukunft der Menschheit glaubten. Piel war einer der ersten, der komplett auf Tonfilm umstellten und damit immer erfolgreicher wurde. Seine Gesellschaft hieß nun „Ariel“ und produzierte Abenteuer- und Kriminalfilme am Fließband.

Filmplakat "Der Mann ohne Nerven" auf Russisch

Filmplakat „Der Mann ohne Nerven“ auf Russisch

Wenig bekannt ist, dass der gebürtige Benrather in den Zwanzigerjahren regelmäßig in Düsseldorf drehte und hier sogar einen zweiten Wohnsitz hatte. Trotzdem wird er außerhalb der rheinischen Metropole kaum je mit Düsseldorf in Verbindung gebracht, sondern der Berliner Gesellschaft zugerechnet. Nach der Machtergreifung durch die NSDAP im Jahr 1933 wurde Harry Piel – übrigens nicht nur in den deutschsprachigen Ländern, sondern auch im übrigen Europa und sogar in der Sowjetunion – immer populärer. 1939 wurde seine Filmfirma – wie fast alle anderen Gesellschaften dieser Branche – verstaatlicht, und gegen Ende des zweiten Weltkrieges nahm ihn Propagandaminister Goebbels in die sogenannte „Gottbegnadeten-Liste“ auf, und seine Filme wurden massiv zur Truppenunterhaltung eingesetzt. Politisches spielte in Piels Filmen nie eine explizite Rolle, und seine mögliche politische Haltung spiegelt sich lediglich in seinem erzkolonialistischen Umgang mit allem Exotischen wieder.

"Ein Unsichtbarer geht durch die Stadt" von 1933

„Ein Unsichtbarer geht durch die Stadt“ von 1933

Ein großer Teil der Negative seiner Stummfilme und einiger Tonfilme wurde bei einem Bombenangriff zerstört, sodass von seinem umfangreichen Werk heute nur noch ein Bruchteil zur Verfügung steht. In seiner Glanzzeit ehrte ihn das einfache Volk mit dem berühmten Reim „Harry Piel sitzt am Nil, putzt die Zähne mit Persil“, und der Titel seines vielleicht erfolgreichsten Films „Menschen, Tiere, Sensationen“ von 1938 ist bis heute ein geflügeltes Wort. Eitel war Piel und vielleicht der erste Filmschauspieler überhaupt, der beim Dreh die Einstellungen daraufhin kontrollierte, möglichst vorteilhaft auszusehen. So trug er hohe Schuhe mit Einlagen, um größer zu erscheinen und ließ sich so schminken und frisieren, dass er möglichst maskulin wirkte.

Nach dem Krieg, der Haft und dem Berufsverbot geriet er fast völlig in Vergessenheit. Erst das Fernsehen holte ihn nach seinem Tod wieder ans Licht der Öffentlichkeit, weil regelmäßig die bekanntesten seiner Filme im Nachmittagsprogramm ausstrahlte. Seine Verstrickung und seine Nähe zu den Nazis führte dazu, dass er posthum offiziell nicht gewürdigt wurde – eine Harry-Piel-Straße sucht man in Deutschland vergeblich.

Ein Kommentar

  1. Joachim Ludewig am

    Es gibt seit einigen Jahren den Harry-Piel-Platz in Düsseldorf-Benrath und dort auch eine Plakette an seinem Geburtshaus.