Es gehörte einfach dazu. Wenn wir wieder einen bewegenden Film in der wunderbaren Lichtburg an der Kö gesehen hatten, zumal in der Spätvorstellung, hieß es: Gehen wir noch auf ein Bier in den Benrather Hof? Und natürlich gingen wir rüber an die Ecke der Königsallee zur Steinstraße in dieses uralte Wirtshaus mit der einzigartigen Atmosphäre. Gegen zehn, zwölf Uhr hing noch der Qualm von Hunderten Zigaretten in der Luft, die Kellner in ihren weißen Jacken schlurften durch den weiten Raum, und wir blieben bis man uns zur Sperrstunde rauskehrte, um über den gesehenen Streifen zu reden oder ihn schweigend nachwirken zu lassen. Tatsächlich bin ich kaum öfter als ein Dutzend Mal im Benrather Hof eingekehrt, ohne dass ich vorher im Kino war. Ich weiß heute, da habe ich ein Stück Düsseldorfer Kulturgeschichte verpasst.
Denn hier, weitab von der Altstadt, lag das Epizentrum einer buntgemischten Szene aus Künstlern, Klüngel und vor allem dem Umfeld der Düsseldorfer Fortuna. Die bewusste Straßenecke war schon lange zuvor, vermutlich Jahrhunderte, ein Treffpunkt. Der Vorläufer des Gebäudes war nämlich ab dem Beginn des 19. Jahrhunderts eine preußische Posthalterei, eine Station der Postkutschenstrecken von Nord nach Süd. Dort wurden die Pferde gewechselt, getränkt und gefüttert, dort gab es ein Wirtshaus für die Kutscher und ihre Fahrgäste. 1864 verlegte man das noch junge Telegrafenamt in die Posthalterei, aus der Pferdestation wurde ein brandneuer Gasthof namens Benrather Hof.
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130 Jahre lang existierte diese Wirtschaft, dann fiel sie der Gier der Immobilienfritzen in der Stadt zum Opfer, die mit den Grundstücken an der Kö viel Geld verdienen wollten, mehr Geld und noch mehr Geld. Die Kö 56 und die beiden Häuser nebenan wurden abgerissen. An ihrer Stelle entstand das Kaufhaus „Sevens“ als Ergänzung zur größenwahnsinnigen Kö-Galerie mit ihren vergoldeten Handläufen und den glänzenden Marmorböden. Die Lichtburg hielt zehn Jahre länger durch bis der Kinobetrieb eingestellt und das Gebäude zur Vorzeigefiliale der amerikanischen Kaffeekette Starbucks wurde. Ganz ehrlich: Nach dem Verlust dieser beiden Institutionen sah ich für mich kaum noch einen Grund, aus freien Stücken auf die Kö zu gehen.
Der legendäre Wirt des Benrather Hofs, der im Krieg schwer beschädigt und 1951 nach aufwendigem Aufbau wiedereröffnet wurde, war Toni Rudolph, ein Mann, der sein Herz früh an die glorreiche Fortuna verloren hatte und großer Förderer des Vereins wurde. Zwischenzeitlich bekleidete er auch Ämter im Club, und der Benrather Hof stand den Fortuna-Spieler immer offen, eine warme Mahlzeit für die Aktiven gab es gratis. 1955 starb Toni, dessen größtes Lebensereignis vermutlich der Gewinn der Deutschen Meisterschaft durch die Fortuna im Jahr 1933 war. Aber auch nach seinem Tod blieb das Gasthaus Treffpunkt der Fortunen – F95-Urgestein Matthes Mauritz war hier bis zum Ende des Benrather Hofs Stammgast.
Während die Ratinger Straße und die umliegenden Gassen der längsten Theke etwa ab Mitte der Sechziger Jahre wegen der Nähe zur Kunstakademie die Meile der Künstler wurde, zog es die eher der traditionellen Malerei und Bildhauerei verhafteten Männer und Frauen noch lange Zeit in den Benrather Hof; die vielen Originalzeichnungen und Fotos, die an den holzvertäfelten Wänden hingen, belegten dies. Aber auch für die Menschen, die nicht so recht in die jeweilige Gesellschaft passen wollten, war die Wirtschaft ein zweites oder gar erstes Zuhause – die Bettler von der Kö hatten jederzeit Zugang zu den Toiletten und bekamen nicht selten an den Tischen hinten bei der Küchentür eine Mahlzeit und auch ein Bier.
Getrunken hat man im Benrather Hof nicht nur lecker Altbier. Ganz in der Tradition Düsseldorfs als Weintrinkerstadt, die erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts durch das Aufkommen der industriellen Brauereien zur Bierstadt wurde, gab es hier auch roten und weißen Wein, natürlich aus den Weinbaugebieten an der Ahr und an der Mosel. Das Essen war deftig und prägte den Küchenstil der Hausbrauereien wie wir ihn heute kennen. Es heißt, der Benrather Hof sei die erste Wirtschaft gewesen, in der man Himmel un Ähd mit gebratener Bloodworsch servierte, aber das dürfte eine Legende sein. Eisbein und Haxe bekam man dort jedenfalls bis zum Schluss immer.
Ein Kommentar
Ende 1994 war Schluss dort…