Es war einer dieser magischen Fortuna-Tage: Am 31. Mai 2008 trat F95 im Erfurter Steigerwaldstadion zum letzten Spiel der Saison an. Es galt, den Aufstieg in die zweite Liga zu erreichen. Aber leider spielte die Konkurrenz nicht mit. Hier ein Augenzeugenbericht: Düsseldorf ist an einem Samstagmorgen gegen acht eine stille Stadt. Die Passagiere der S-Bahn dösen. Und auch der Mitreisende mit dem roten Trikot ist noch nicht voll da. Vor dem Air-Berlin-Schalter im Terminal B versammeln sich die Aufstiegsflieger. Alle sind sie da: Die Vorstände Frymuth, Sesterhenn, Allofs und Tecklenburg, Aufsichtsräte, Vertreter der Sponsoren, aber auch ganz normale Fans, DJ Opa nicht zu vergessen. Stimmung will im Airbus noch nicht aufkommen. Nur die eine Saftschubse muss mit Fortuna-Käppi für Fotos posieren. Erfurt begrüßt mit schwülem Sonnenschein und einem merkwürdigen Dialekt. Der Busfahrer ist nett, aber schwer zu verstehen. Über dem Erfurt International Airport kreist ein Polizeihelikopter. Vier Linienbusse werden per Blaulicht durch die Altstadt zum mehr alten als ehrwürdigen Steigerwaldstadion eskortiert. Ein Häufchen Fortunisti ist schon da, zweieinhalb Stunden vor Spielbeginn.

Man trifft die Mitglieder der Fortuna-Family. Alle sind sie gekommen. Der Einlass gestaltet sich entspannt. Die Fortuna-Bratwurst wird durchs Gitter verkauft, die alkoholfreie Plörre auch. Es ist schwülwarm, manchmal brennt die Sonne im Nacken. Noch zwei Stunden bis zum Anpfiff. Das Stadion erinnert an Weltjugendspiele und ähnliche sozialistische Veranstaltungen. Es ist mit den DDR-Einheits-Fluchtlichtmasten bestückt und einigermaßen marode. Der Stehplatzblock füllt sich schnell. Unser Fanbeauftragter ist ein wenig besorgt, denn die Organisation der Erfurter lässt zu wünschen übrig.

Noch etwas mehr als eine Stunde. Oben im Sitzplatzblock tauchen die ewigen Fortunaspieler auf: Axel Bellinghausen und Frank Meyer. Auch Vltako Glavas wird gesichtet. Man kennt sich, man grüßt sich, man redet miteinander – eine große Familie. Eine minderbegabte Coverband spielt Merkwürdiges aus dem Off. Die Stimmung schwankt zwischen Vorfreude und Anspannung. Da kommen unsere Jungs aufs Feld und werden angemessen begrüßt.
Kurz vor Anpfiff. Die Erfurter liefern eine peinliche Show mit Cheergirls und Glockengeläut. Nico hat seinen Platz auf dem Zaun eingenommen, aber die Hitze scheint echtes Anfeuern zu erschweren. Thomas Allofs hält per Handy Verbindung zum Spiel in Berlin. Olé-olé läuft an. Aber die Fortuna-Herren tun sich anfangs schwer, lassen Gegner viel Raum und schlagen vorwiegend schlampige Pässe. Die Erfurter sind ballsicher und schnell – kein Wunder dass die schon 70 Hütten gemacht haben in der Saison. Mehr als anderthalb Torchancen bringen sie aber nicht zustande. Das Spiel plätschert einigermaßen lethargisch dahin.

Dann geht die Nachricht um: Oberhausen führt 2:0 in Berlin – tschüss Aufstieg. Die Stimmung sinkt auf den Nullpunkt, Fatalismus macht sich breit. Und hält bis zum Halbzeitpfiff an. Fans hängen ab, manche aus Frust, manche wegen der Hitze und einige, weil sie außerhalb des Stadions heftig vorgeglüht haben. Die zweite Hälfte beginnt wie die erste endete. Nur dass die Erfurter jetzt auch nicht mehr viel auf die Reihe bringen. Plötzlich pflanzt sich ein Aufschrei fort durch die Schar der Tuna-Freunde: Angeblich hat Union ausgeglichen. Andere meinen, der Anschlusstreffer sei gefallen. Und dann senst der Erfurter Torwart auch noch einen Fortuna-Stürmer um: Elfmeter. Der Mob wird wieder wach. Axel Lawaree, unser Elferkiller trägt den Ball zum Punkt und wird angefeuert. Aber dann tritt Jens Langeneke an und versenkt das Ding.
Jetzt sind alle wieder wach, und die RWE-Fans können gegen unseren Support kaum noch anstinken. Lieb gemeinte „Scheißt RWE“-Gesänge heizen das mentale Klima an. Bumms! Zwei Minuten nach dem Strafstoß fällt das 2:0. Inzwischen hat sich rumngesprochen, dass Oberhausen immer noch mit zwei Toren führt und dass zu allem Überfluss ein Unioner vom Platz gestellt wurde. Die Stimmung wird manisch-depressiv und schwankt zwischen wütenden Anfeuerungen und schweigender Niedergeschlagenheit. Und dann auch noch das 3:0! Aber was nützt es, wenn doch RWO auch mit frei Treffern führt.

Der Berichterstatter macht sich auf den Weg, die Nerven am Ende. Plötzlich laufen wilde Gestalten aus dem Stehblock den Weg hinunter, die Richtung ist klar: Erfurter Block. Da marschieren die Streitkräfte in schwarzem Ornat auf, und die Gewaltbereiten rennen zurück an ihren legalen Platz. Das 4:0 sehe ich nicht mehr. Ich hocke auf einem Mäuerchen und gebe mich der Trauer hin. Mehr Fans kommen vorbei, und das meistgesagte Wort heißt „Lübeck“. Denn mit der wehrlosen Niederlage beim insolventen Marzipanclub haben unsere Jungs den Aufstieg vergeigt.

Auch die Nichtaufstiegsflieger trudeln ein. Die Wolken über den Bussen haben sich zusammengezogen. Am Flughafen angekommen, beginnt es zu gewittern. Die Stimmung ist einigermaßen gelöst und ein bisschen trotzig. Dann eben nächstes Jahr. Auf dem Rückflug wird gedöst. Und dann zerstreuen sich die rund 170 Menschen, die andernfalls die Nacht der Düsseldorfer Altstadt zu einem sehr langen und sehr nassen Tag gemacht hätten. Man sieht sich. Wie wär’s mit Sandhausen im Mai 2009?

[Zuerst erschienen im Vorgänger-Blog „Rainer’sche Post“ im Mai 2008]

3 Kommentare

  1. Das Spiel (inklusive Anreise) zählt trotz des verpassten Aufstiegs zu den Top 3 Auswärtsspielen meiner Fortunakarriere. Alleine die Fahrt war schon sensationell. Unser Ex-Capo und Meister der Humba Micky hatte zwei Busse organisiert, wo ich in einem der beiden mitfahren durfte.
    Für sich, ein paar Kumpels sowie ein paar Ex-Spielern hat er zusätzlich noch eine Stretchlimousine angemietet, die die Spitze der Kolonne mit den beiden Bussen bildete. Die Limousine war an den Kotflügeln, wo sonst die Dilomatenfahnen wehen, mit Fortunafähnchen geschmückt und der Chauffeur hatte unter dem Anzug statt eines Hemdes ein schwarzes Hosentrikot an. Das sah sensationell aus.

    Trotz des verpassten Aufstieges fand ich die Stimmung nach dem Spiel im Fortunablock sehr gut und auch recht entspannt. Die Mannschaft wurde auch ausgiebig gefeiert. Stress gab es aber meiner Erinnerung nach nur von Erfurter Seite. Diese fühlten sich bei „Wir alle singen jetzt ein Lied“ Mitte der 2. Halbzeit durch die Zeile „wir hassen*öln und RWE“ fälschlicherweise angesprochen und wollten Bambule machen. So waren es dann auch einige hunderte Erfurter,die nach dem Schlusspfiff auf den Rasen sind und rübermachen wollten, ehe sich die Sturmtruppen (die Beamten in Erfurt hatten überdimensionierte Helme auf, die sehr lustig aussahen) dazwischen stellten, um die Erfurter aufzuhalten. DIe Erfurter wurden aber meiner Erinnerung von Fortunaseite bis auf ganz wenige Einzelfälle) nicht sonderlich ernst genommen und man veralberte eher die komisch aussehenden Polizisten. Ich erinnere mich noch an irgendeinen Schlachtruf, der auf Karneval abzielte,

  2. Jepp, war ein geiles Wochenende. Am Abend vorher haben wir Pizza beim örtlichen Dealer bestellt:

    „Zwei Margherita und zwei Prosciutto.“
    „Zwei wös?“ (Man möge sich den grenzdebilen thüringischen Dialekt vorstellen, der ist mit lateinischen Buchstaben in all seiner Ekligkeit kaum darstellbar)
    „Prosciutto.“
    „Wösndös?“
    „Hä?“
    „Wösn da dröuf?“
    „Ja, äh, Schinken.“
    „Sög dös döch gleich.“

  3. Ich kann mich nich erinnern, dass es irgendwie Stress mit den Tickets gab…trotz Tribünenticket mussten alle in den Stehbereich, der dementsprechend voll war.