Nach zwei völlig unterschiedlichen Hälften gewinnt Fortuna völlig gerecht gegen einen Aufstiegskandidaten.
Analyse · Trainer Thioune konnte seine Begeisterung kaum zügeln angesichts dieser fantastischen 20 Minuten, in den seine Burschen absolut erstligareif auftraten. Und das vor allem auf Grund einer taktischen Meisterleistung des Trainerteams. Dass Kollege Lieberknecht zu Beginn der zweiten Halbzeit durch Umstellungen ebenfalls ein Bravourstück der Taktik lieferte, machte die ganze Sache so spannend, aber die glorreiche Fortuna hielt dieses Mal die Konzentration bis zum Schlusspfiff nach 95 Minuten und widerstand dem Druck und der üblen Holzerei der Lilien. Das ist das Spiel in dürren Worten. [Lesezeit ca. 10 min]
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Euer herzergreifend ergebener F95-Berichterstatter konnte aus Gründen leider, leider nicht im Stadion sein, hatte aber die Gelegenheit, die Sky-Übertragung zu sehen. So entging ihm einerseits ein emotionales Saison-Highlight, andererseits aber konnte er sich ohne Ablenkung aufs spielerische Geschehen konzentrieren. Die Überraschung begann mit der Aufstellung. Emma als einzige Spitze? dachte der Ergebene, weil er auch noch nicht wusste, dass weder Rouwen Hennings, noch Khaled Narey im Kader stehen würden. Und dass Thioune nicht den vor Anpfiff verabschiedeten Robert Bozenik mit dieser Aufgabe belasten würde, war klar. Daniel Ginczek war noch nicht so weit, und die einzige Alternative wäre gewesen, ohne nominelle Spitze zu spielen.
Emma das Vertrauen zu geben, war ein genialer Schachzug, wobei DT später zugab, er habe da nicht lange drüber nachgedacht, sondern sehr kurzfristig aus dem Bauch heraus entschieden. Scheint ja überhaupt nicht schlecht zu sein, aufs Gedärm zu hören, denn zum dritten Mal in Folge hat der Bauch des Ergebenen das richtige Ergebnis vorhergesagt. So nebensächlich die Berufung vom jungen Iyoha ganz nach vorn zunächst erscheint, weist sie doch auf etwas hin, was der nun zwölfmal ungeschlagene und strunzsympathische Cheftrainer schon mehrfach hat anklingen lassen: Die gewählte Systematik kann in vielen Spielen völlig unwichtig sein.
Das – und damit kommen wir schon auf die glänzende Zukunft, die der Düsseldorfer Turn- und Sportverein Fortuna 1895 e.V. mit Daniel Thioune und seinem Stab haben wird, zu sprechen – ist hochmodern. Wenn man sieht, wie variabel die europäischen Spitzenclubs mit der Anordnung der Ketten umgehen, wie oft innerhalb einer Partie nicht nur von Vierer- auf Dreierkette umgestellt wird, sondern von einer flachen Vier auf die Raute oder von einer auf zwei Spitzen und zurück etc pp, dann wird klar, dass die starre taktische Grundordnung mausetot ist.
Nun ist der handelsübliche Zweitligatrainer noch nicht so weit. Aber dass eine Spitzenmannschaft – und zu denen muss man seit Januar auch die Fortuna zählen – mehrere Systeme beherrschen und in der Lage sein muss, auch ohne personelle Wechsel und mitten im Spiel umzustellen, ist sicher. Verrückt genug, dass unseren Rotweißen in zwei aufeinanderfolgenden Spielen ähnliches passierte. Auch in Heidenheim kam der Gegner in den ersten 45 Minuten mit dem fortunistischen Treiben nicht klar. Auch dort wechselte deren Trainer in der Halbzeit und ordnete eine neue Systematik an. Auch beim FCH mussten Thioune & Co. durch eigene Wechsel und Umstellungen reagieren. Und bei beiden Begegnungen gelang es, sich auf das neue Spiel des Gegners erfolgreich einzustellen.
Der wesentliche Unterschied: Die Darmstädter spielten nicht wie die Blümchen, sondern erwiesen sich von Beginn als üble Kloppertruppe. Schiri Badstübner ließ zunächst viel zu viel körperliche Attacken der SVDler zu; deren Kapitän hätte schon in der dritten Minute eine gelbe Karte sehen MÜSSEN. Und als den sogenannten „Lilien“ die Zeit weglief, langten sie bei jedem Zweikampf bösartig zu. Die drei gelben Karten um die 68. Minute herum kamen definitiv zu spät. Und weil sich bei den Gästen die Sicht festsetzte, der Unparteiische würde ihnen schon nichts tun, langten sie weiter zu. Dass sich ausgerechnet ein derart erfahrener Kicker wie Daniel Ginczek zu einem schlimmen Nachtreten hat hinreißen lassen, war direkte Folge eines rotwürdigen Angriff vom SVD-Gjasula, der wenigstens mit Gelbrot runter musste. Ginczek aber sollte sich was schämen…
Übrigens hätte es einen zweiten Platzverweise gegen die Roten geben müssen: Die fliegende Karate-Nummer von Tim Oberdorf an den Hals eines Gegners in der 93. Minute war und ist durch nichts zu entschuldigen. Auch nicht durch die dauernde gezielte Härte der 98er. Dass Badstübner zu selten pfiff, lässt sich auch der Statistik ablesen, die nur 11:13 Fouls auflistet. Und trotz der Klopperei war es über alles ein richtig gutes Fußballspiel.
Das hatte in der ersten Halbzeit auch viel mit einem zweiten taktischen Kniff von Thioune und Kollegen zu tun: Das maximal flexible Mittelfelddreieck. Bei der Anordnung von Ao Tanaka, Kuba Piotrowski und Shinta Appelkamp konnten von Sechser-, Achter- oder Zehnerpositionen nicht mehr die Rede sein – dieses Triangel war ständig in Bewegung. Und öffnete so vorne Räume nach Belieben. Während Shinta in jeder Hinsicht ein Topspiel lieferte und Ao mit kaum vorhersehbaren Moves das gegnerische Mittelfeld verwirrte, übernahm Kuba den robusten Part, war grandios in der Balleroberung … auch wenn ihm selbst mit der ihm eigenen Hektik manches Mal die Pille wieder verlor.
Zwanzig Minuten lang fanden die Gäste nicht den Hauch eines Ansatzes gegen diese sehr spezielle Offensivtaktik der wundervollen Diva. Erst als die Roten ein wenig Dampf aus dem Wirbel nahmen, kamen die Darmstädter ein bisschen auf. Nur um auf eine Abwehrreihe samt Keeper zu treffen, die sich keine Blöße gaben. So stand nach 45 Minuten genau EIN Torschuss für die SVD auf dem Zettel. Dem angeblich so netten Trainer Lieberknecht entgleisten zunehmend die Gesichtszüge, und noch vor der Pause legte er sich mit dem vierten Offiziellen an und machte mehrdeutige Gesten in Richtung F95-Bank. Die milden Sympathien des Ergebenen hat sich der Mann dann mit seiner Schiri-Schimpfe und seiner Beschwerde über ein nicht gegebenes Tor (Hä???) langfristig verscherzt. Sympathien für den Käpt’n der Lilien kamen gar nicht erst auf, denn einen derartig unfairen Klopper hat er lang nicht mehr gesehen.
Gegen Klopperei helfen Speed und Gewandtheit. Felix Klaus, der gestern das mit Abstand beste Spiel im F95-Trikot machte, konnte so den schlimmsten Attacken entgehen, wurde aber ein paar Mal ganz schön derb gefoult. Kris Peterson auf der andere Seite hat mit seinem Gegenspieler mehr Glück, und Emma Iyoha irrlichterte dermaßen unberechenbar herum, dass seine Bewacher oft nicht wussten, wo er gerade war. So kam es auch zu diesem wunderbaren Sahnetor in der 3. Minute, bei dem Emma die Pille von Klaus auf den rechten Schlappen serviert bekam; er legte sich das Ei rasch auf links und schob präzise neben dem Pfosten ein. Der Schlüssel zum Tor war nicht nur die vorangehende Balleroberung, sondern die Geschwindigkeit des Umschaltspiels.
Dachten die Fans im Stadion, schöner könne es kaum werden, fiel das 2:0 nach einer geradezu traumhaften Kombination. Sie gingen von Zimbo Zimmermann aus, der an Shinta Appelkamp ablegte und weiter durchlief. Shinta spielte einen absolute Zuckerpass auf den einlaufenden Felix Klaus, der perfekt querlegte, sodass Zimbo nur noch den Innenrist reinhalten musste. Man kann noch nicht einmal sagen, dass die SVD-Abwehr schlimme Fehler gemacht hat, dieser Kombination war einfach nichts entgegenzusetzen.
Gleich nach dem 1:0 feuerte Zimbo einen Distanzschuss aber, der auch Trefferpotenzial hatte. Klaus hatte in der Folge zwei Möglichkeiten, Peterson eine halbe. Und obwohl die Gäste langsam Zugriff aufs Spiel bekamen, war die Fortuna hochhaushoch überlegen. Die Statistikwerte zur Pause waren geradezu überirdisch. Offensichtlich ging’s den Lilien auch mental nicht so gut, denn wenn sie überhaupt so etwas wie einen Angriff durchbekamen, verzettelten sie sich. Eigentlich hatte Andre Hofmann und Chris Klarer als Innenverteidiger in Hälfte 1 nicht viel zu tun. Die Außenverteidiger auch nicht.
In dem System, was auf dem Platz real existierte, gab es aber auch für die Außenverteidiger nicht arg viel zu tun, weil deren Offensivbemühungen angesichts zweier echter Außenstürmer nicht sehr benötigt wurden. Zimmermann spielte sein Zimmermann-Spiel, aber bei Nicolas Gavory wird die ihm eigene Unauffälligkeit langsam ein bisschen unheimlich; der macht keine großen Fehler, bringt aber auch so gut wie nie einen nennenswerten Impuls ins Spiel.
In der 31. Minute war das 3:0 fällig – es fiel aber nicht. Ausgangspunkt war ein feiner Diagonalpass von Klarer auf Appelkamp, der kurz auf Klaus im Sechzehner ablegt. Leider geht dessen Schuss an den Pfosten. Mehr 3:0-Möglichkeit gefällig? Ähnliche Kombination in der 37. Minute: Klaus braucht ein bisschen zu lang zum Abschluss. Und doch kann von einem Chancenwucher nicht die Rede sein – dafür waren die Möglichkeiten nicht klar genug. Einziges Manko der ersten Halbzeit war, dass Iyoha zu selten im Strafraum anspielbar war, obwohl er doch einige Freiheiten der überforderten SVD-Defensive genoss.
War klar, dass Lieberknecht was ändern musste. Und das tat er mit Hilfe eines dreifachen Personalwechsels samt Umstellung auf Dreierkette. Außerdem holte er den erwähnten Oberklopper Gjasula als zentralen IV in die Kette. Dadurch und durch eine eng stehende Fünferkette davor war den Fortunen nun die Zentrale zugestellt, also genau der Raum, in dem Shinta, Ao und Kuba den Angriffswirbel vorbereitet hatten. Konnte Appelkamp 45 Minuten praktisch tun und lassen, was er wollte, hatten ihn die Gäste nun unter Kontrolle.
Wie in Heidenheim entschied sich Daniel als Reaktion auf diesen Umbau mit der Umstellung auf eine defensive Fünferkette und holte folgerichtig in der 57. Minute Tim Oberdorf rein. Für ihn musste Kris Peterson gehen, der zuvor aber auch von allen Offensivlingen der wirkungsärmste war. Nicht nur die Rolle von Appelkamp änderte sich durch diese Änderung, am meisten betroffen war Felix Klaus, dem – ähnlich wie Shinta – nun die große Freiheit genommen war. Es wurde klar, dass die Hausherren nun unter Volldruck geraten und sich ganz aufs Kontern würden verlegen müssen.
Und der Druck wurde groß, gigantisch so gar. Die Dreierkette ging nun bei jeder fortunistischen Annäherung mit vollster Härte vor und schüchterte so auch die nicht ganz so robusten Kollegen Appelkamp, Klaus und Iyoha ziemlich ein. Die aber sortierten sich, wie zuvor schon Tanaka, voll diszipliniert in die Abwehrarbeit ein. Und dann passt es in der 59. Minute im eigenen Sechzehner mal nicht so ganz. Ein Darmstädter wird Richtung Fünfer halbrechts angespielt und hat nur noch Flo Kastenmeier vor sich, dem gar nichts andere übrigbleibt als zu versuchen dem Angreifer die Kugel vom Fuß zu pflücken. Und das gelingt zunächst – nur zieht der Flo dabei die andere Hand hoch, und über die stolpert dann der Darmstädter … der allerdings auch früher abhebt als nötig.
Der Strafstoß geht in Ordnung und wird versenkt. Und da ist er wieder, der Zittermoment… Noch eine halbe Stunde müssen die Burschen mit dem F95 auf den Leibchen durchhalten, ein oder mehrere Gegentore verhindern und womöglich – wie in Heidenheim – selbst noch eines schießen. Durch Verschiebungen der taktischen Grundordnung ist da nichts mehr zu machen. Da helfen nur vollste Konzentration und Siegeswillen. Die statistischen Werte haben sich nach der Pause komplett gedreht. Aber wie gut unsere Jungen gearbeitet haben, zeigt sich daran, dass sie zum Abpfiff nach der 95. Minute dann doch wieder bei den entscheidenden Quoten vorne liegen.
Thioune, Hoepner und Stefes beobachteten die Entwicklung sehr genau und besprachen sich mehrfach, bisweilen unterstützt von Sportdirektor Christian Weber. Noch was ändern oder nicht? lautete die Frage. Oder einfach nur positionsgenau wechseln? Man entschied sich für Letzteres; na ja, nicht ganz, denn dass Daniel Ginczek für den immer unsichtbaren Emma kam, war folgerichtig. Aber Lobinger für Appelkamp? Was sich so harmlos anhört, hätte der Fortuna noch einmal massiv Oberwasser bringen können.
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Denn etwa ab der 70. Minute ließ der Druck der Darmstädter wieder nach, und F95 konnte darüber nachdenken wieder ein eigenes Offensivspiel aufzuziehen. Die beschriebenen Wechsel (offiziell übrigens Ginczek für Appelkamp und Lobinger für Iyoha) brachten nämlich wieder neue Optionen mit sich, wobei die Idee, die man Tyger Lobinger in einem längeren Gespräch mitgegeben hatte, hochinteressant war. Offensichtlich sollte er mit Ginczek ein Duo aus echter und abkippender Spitze geben, mit dauernden vertikalen und horizontalen Rochaden. Das kam dann auch über acht, neun Minuten ganz gut ins Rollen … bis sich Daniel Ginczek diese dumme Eselei erlaubte und flog.
Weil auch die Lilien nur noch mit zehn Mann auf dem Platz standen und alle taktischen Überlegungen Makulatur waren, wurde es vogelwild auf dem Rasen. Klar, Lieberknecht und seine Kicker wussten, dass sie mindestens ein Remis holen müssten, um im Aufstiegsrennen zu bleiben, dass sie bei einer Niederlage auf Patzer der Mitbewerber angewiesen sein würden. Und sie versuchten alles. Aber: Die Fortuna blieb stabil. Und vielleicht ist damit die Angst vor der Nachspielzeit bei den Fans langsam wieder vorbei.
Wie die letzten drei Partien hat auch dieser Sieg gegen Darmstadt gezeigt, dass Daniel Thioune mit freundlicher Unterstützung von Manfred Stefes und Jan Hoepner aus einem nominell guten Kader eine reife Mannschaft geformt hat. Weitere Erkenntnis: Der Erfolg hängt nicht mehr von einzelnen Spielern wie Käpt’n Bodze, Cello Sobottka, Khaled Narey oder Rouwen Hennings ab, sondern wird je nach verfügbaren Jungs anders erreicht. Das macht enorm viel Hoffnung auf die nächste Saison. Besonders jetzt, wo wider Erwarten doch noch vorstellbar ist, dass der gute Khaled und auch der gute Jordy dem kommenden Kader angehören könnten. Dann würde sich fragen, ob die Fortuna anno 2022/23 außer den zu Profi beförderten Nachwuchsleuten überhaupt noch Neuzugänge bräuchte.
2 Kommentare
Klaus war überragend, Appelkamp, Zimmermann und Klarer bestens, aber auch Gavory und Peterson habe ich live deutlich besser gesehen als das vllt am Bildschirm rüberkam. Was für eine herzerfrischende erste HZ!
Wenn ich drei Wünsche für die neue Saison frei hätte, dann neben den Weiterverpflichtungen bitte einen erstklassigen Torwart ohne affektiertes Gebaren … Und Bodzek muss wirklich nicht mehr sein.
Ich bin froh dass der Torwart Kastenmeier heißt und erfrischend einen Libero überflüssig macht. Ein Mann der aus der langweiligen Torhütersuppe heraussticht noch jung und noch ausbaufähiger wird. Werden mit ihm nie Langeweile und noch viel Spaß haben. Wie viel Fehler haben Kahn Neuer und Radencovic gemacht,wussten aber immer zu unterhalten. Axelino Behn