„Uff, zum Glück ist die Länderspielpause vorbei,“ stöhnte mein Ingo, mit dem zusammen Ihr sehr ergebener Berichterstatter dieses außergewöhnliche Fußballspiel verfolgte – natürlich nur per Videokonferenz. Wie das geht? Verraten wir später. Jedenfalls: Der Spielfilm ist schnell erzählt, die Details machen die Sache aus, und die Rückschlüsse sind einfach zu beschreiben: Ein Team, das aus einem 0:3 ab der 65. Minute noch einen Sieg macht, muss Mannschaft genannt werden.

Ganz anders als im Spiel gegen den Äff-Zeh wirkten die Fortunen in der ersten Halbzeit verpennt bis verwirrt. Dass ausgerechnet Andre Hoffmann in der 7. Minute seinen eigenen Keeper ausguckte und einen als Rückgabe gemeinten Ball an Flo Kastenmeier ins Netz schob – geschenkt, kann passieren, Mund abwischen. Dass aber ein zu Recht hochgelobter Kevin Stöger in Hälfte 1 eine Passquote von exakt 0 Prozent fabrizierte, lässt sich mit den normalen menschlichen Verstand nicht fassen. Und hätten nicht wenigstens Kaan Ayhan und Adam Bodzek noch alle Fünfe gerade gehabt, es hätte ein Desaster werden können.

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Und das hatte wenig bis nichts mit dem von Trainer Rösler & Kollegen gewählten System oder den aufgestellten Spielern zu tun. Beinahe klassische das 3-5-2, dieses Mal wieder mit Rouwen Hennings und Kenan Karaman ganz vorne. Einzige Überraschung im Mittelfeld: Stöger und Velon Berisha wurde als vogelfreies Element der junge Kelvin Ofori beigesellt, von dem später noch die Rede sein wird. Den defensiven Part gab Bodzek, während Erik Thommy auf links natürlich für den Speed sorgte. Aber auch dieses Konzept ging in den ersten 45 Minuten gründlich schief. Hennings und Karaman standen sich ständig auf den Füßen, und wenn Ofori sich in den Sechzehner gedribbelt hatte, fand er keine Anspielstation.

Schwache Schalker

Das alles gegen erschreckend schwache Schalker, die allerdings auch heftigst vom Verletzungsteufelchen geplagt waren. So fiel das 0:2 kurz vor der Pause nach einer Slapstick-Aktion: Ein Schalker schießt im F95-Strafraum einen Kollegen an, von dessen Rücken die Pille nach außen springt, wo ein anderer Blauer über das Ei haut, sodass der Abwehrversuch von Gießelmann die Kugel wieder nach innen bringt, wo zwei Gäste reinrutschen und es so schaffen, das Ding hinter die Linie zu bugsieren. Sah lustig aus, war es aber nicht.

Hätten auch nur zwei Fortunen in der Form gekickt, die im vergangenen Jahr das historische 0:4 auf Schalke gebracht hat, sie hätten die Trümmertruppe des FC Meineid auseinandergenommen. Aber manchmal läuft es anders, manchmal schaffen es Menschen, sich an den eigenen Haaren aus der Scheiße zu ziehen und die Mitmenschen dazu zu animieren, dasselbe zu tun. Es folgt die Geschichte des ewigen Oliver Fink, der nach der Pause für den leicht angeschlagenen Berisha kam … und seine Kollegen mitriss.

Schon sein erster Alleingang hätte beinahe zum Anschlusstreffer geführt. Auch wenn das nicht gelang: Plötzlich war die Konzentration bei Stöger da, plötzlich sortieren sich Hennings und Karaman ordentlich, plötzlich kamen die feinen Flanken von Thommy, und Ofori lieferte allerschönste Kurzpässe im gegnerischen Sechzehner. Hinten war eh alles dicht, und die Schalker hatten beschlossen sich auf dem glücklichen 0:2 auszuruhen und auf Konter zu setzen. Genau ein solches Umschaltspielchen brachte in der 58. Minute das 0:3 – ein leichter Ballverlust von Gießelmann auf außen, der schnelle Spurt eines Schalkers, der perfekte Pass auf denselben und ein Kastenmeier, der nicht mehr viel zu retten hat.

Drops gelutscht?

Der Drops schien gelutscht, und Ingo drohte an, sich aus unserer virtuellen Expertenrunde auszuklinken. Tatsächlich hatte die sich um die Live-Übertragung der Partie – zum Glück im dieses Mal freien Bezahl-TV – gruppiert: Das Bild vom Spiel in der Mitte, die Selfievisagen der sechs Experten fein drumherum drapiert. Hauptunterschied zu Treffen in der Retematäng, dem Bilker Häzz und der Bar95: Jeder trank eine andere Biersorte. Und weil man sich beim Rudelguck in der Kneipe selten gegenübersitzt oder -steht, war es schon irritierend, die ganze Zeit die Fressen der Jungs sehen zu müssen.

„There’s still hope,“ so schloss der legendäre Jazzmusiker Lionel Hampton sechzig Jahre lang jedes seiner Live-Konzerte. Und wer sein Herz an die schöne, aber launische Diva gehängt hat, weiß um die absolute Gültigkeit dieses aufmunternden Spruches. Wie gesagt: Käpt’n Fink spielte als ginge es um einen neuen Vertrag, rannte und wühlte und haute – immer knapp unter der Gelben – auf blaue Beine, dass es eine Pracht war. Die ganze Chose sah nun aus wie Handball. Zehn von elf Schalkern irrten durch den eigenen Strafraum, der elfte lauerte knapp vor dem Sechzehnerkreis, stand aber unter erheblicher Bewachung des für Gießelmann eingewechselten Zanka.

Geier überm Aas

Drumherum kreisten die Fortunen wie die Geier über einem stinkenden Aas. Und hätte nicht der Gelsenkirchener Ersatztormann einen dermaßen goldenen Tag in der Verlosung gefunden, hätte es zwischen der 58. und 64. Minute gut und gern fünfmal im Gästekasten klingeln können. Da war das 1:3 durch Karaman die ganz große Erlösung. Wieder kam der Ball von Ofori, der sich ungefähr einen Meter oberhalb der Torauslinie und zwei Meter innerhalb des Sechzehners aufhielt und das Ei perfekt Richtung Elferpunkt schob, wo der gute Kenan wie ein Tipp-Kick-Männchen, dem man auf die Birne gehauen hat, das Ding aus dem Stand in den Giebel hämmerte. Nur noch Verwackeltes in der Videokonferenz…

Die offizielle Statistik vermeldet Außergewöhnliches: In der zwoten Spielhälfte wurden 28 (in Worten: Achtundzwanzig) Torschüsse für F95 vermeldet und zwei für S04. Ballbesitz Fortuna: 83 Prozent! Und so weiter… Aber dieser Teufelskerl im königsblauen Kasten, der hält und hält und hält. Da können die Schalker froh sein, dass dieser gehypte Typ bald zu den Bayern abhaut und dieser Superkeeper die Nummer 1 wird. Auf dem Weg dahin befindet sich übrigens gerade der gute Flo. Da Michael Rensing mangels Vertrag andere Aufgaben hier oder anderswo übernimmt, der dauerverletzte Zack Steffen zurück nach Manchester darf und das Schicksal von Raphael Wolf immer noch ungewiss ist, dürfte er in der kommenden Saison Stammtorhüter werden.

Es dauerte dann doch wirklich bis zur 83. Minute ehe Hennings eine Flanke von Thommy mit einem auf Hüfthöhe angenommenen Volley das 2:3 markierte. Da hatte Ingo erst wieder Hoffnung geschöpft und dann angesichts der Uhr wieder verloren. „Warte nur, Ingo,“ hatte Ihr Ergebener eingeworfen, „das Ding geht noch Unentschieden aus.“ Und tatsächlich: Dieses Mal ist es der kleine Kelvin, der ganz allein am Ball durch die Schalker slalomt als wären die aus Holz – und versenkt. Damit hätten wir alle leben können, nicht ganz glücklich, aber zufrieden. Nach einem Dreitorerückstand zurückzukommen? Wie sagen die scheinintellektuellen Spochtrepochter neuerdings immer? A la bonheure…

Der Schlusspunkt

Doch das Ding, das von Schiri Aytekin perfekt und ohne Videobescheiß gepfoffen wurde, war noch nicht durch. Es ist die erste Nachspielminute von angeordneten dreien. Die Jungs in Weiß sind noch nicht fertig. Die wollen mehr. Und ignorieren die Beruhigungsgesten von Coach Rösler. Die werfen nochmal alles rein. Freistoß, gut 25 Meter vor dem Tor, leicht links versetzt. Kastenmeier geht mit in den gegnerischen Sechzehner. Ayhan wird schießen. Aytekin muss den Haufen einmal sortieren, denn es wird geschubst und gezerrt. Gibt den Ball frei, Kaans Fuß berührt gerade die Pille, da fällt Kastenmeier wie vom Blitz getroffen. Die Zeitlupe wird zeigen, dass ihn irgend so ein S04-Depp mit dem Ellenbogen voll an der Schläfe getroffen hat. Und zwar nicht aus Versehen. Rudelbildung. Der coole Schiri geht ins Getümmel, sortiert nach Farben, lockt den Übeltäter zu sich und hält ihm die rote Karte vor die Fresse. Mehr Rudel, mehr Sortierung. Und dann zeigt der Referee auf den Punkt: Elfmeter für Fortuna.

Während der folgenden Strafstoßszene liegt unser Keeper übrigens schwer benommen hinter der Auslinie und wird behandelt. Die Szene beginnt damit, dass sich Ofori, der junge Ghanaer, den Ball schnappt und ohne nach links oder rechts zu blicken zum Elferpunkt schreitet. Käpt’n Fink hält mit einer deutlichen Geste seine Kollegen davon ab, irgendwie einzuschreiten. Hennings und Ayhan drehen dem gegnerischen Kasten den Rücken zu. Vier Schritte Anlauf, minimales Zögern und ein präziser Schuss mittig unter die Latte. 4:3 für die Fortuna. „Aus, aus, aus,“ brüllt Ingo in sein Notebook, „das Spiel ist aus. I werd narrisch. Ofori, du Fußballgott.“ Mehr gibt es dazu nicht zusagen.

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