Ein in Ehren, ja, nicht wirklich ergrautes Mitglied des F95-Aufsichtsrates sagte einmal mitten in der Krise rund um den Putschversuch anno 2009 auf die Frage, wieso solche komischen Klamotten immer passieren: Beim Fußball drehen die Jungs eben ab, da werden die alle ganz komisch. Und meinte damit, dass selbst seriöseste Persönlichkeiten angesichts ihrer Liebe zum Verein alles rationales Denken und Tun zugunsten maximaler Emotion vergessen. Das wird alles was mit Testosteron zu tun haben, und das hat in der Vereinsgeschichte der glorreichen Fortuna rund um Präsidenten, Vorstände, Aufsichtsräte und andere Funktionäre sehr, sehr oft eine Rolle gespielt – natürlich neben Eitelkeit und Freude am Klüngel. Seitdem so gewählt wird nach der Satzung aus den frühen Nuller Jahren münzt sich das in teils wahnhaftem Populismus von Kandidaten bei Wahlen um. So auch in diesem Fortuna-Schicksalsjahr 2017…
Was macht der Aufsichtsrat und wer sollte drin sein?
Denn es kommt nicht jedes Jahr vor, dass gleich fünf Aufsichtsräte für dieses Neuner-Gremium neu zu wählen sind. Drei der Mitglieder werden bekanntlich vom Wahlausschuss bestellt, eines vom Sportausschuss des Vereins. Zwei langjährige Aufsichtsräte treten nicht mehr an: Albrecht Woeste nach eigenem Bekunden aus Altersgründen und Marcel Kronenberg, der ab 2005 – also schon zu Zeiten des verstorbenen OB Erwin als AR-Vorsitzendem – dabei war, dürfte nach einem Dutzend teils zermürbender Jahre einfach amtsmüde sein. Für die fünf zu besetzenden Posten hat der Wahlausschuss dreizehn Kandidaten zur Wahl zugelassen. Weil der Filmemacher (u.a. „Warum halb vier“ und „Fortuna Legenden“) Lars Pape gestern aus persönlichen Gründen zurückzog, haben die stimmberechtigten Mitglieder am Sonntag (12.11.2017) in der Arena im Zuge der Jahresmitgliederversammlung zwölf Personen zur Auswahl.

Kandidat Dr. Reinhold Ernst
Empfohlen zur Wiederwahl

AR-Kandidat Björn „Borgo“ Borgerding

Kandidat Ignacio Ordejón-Zuckermaier
Kandidatencheck, die zweite…

SCD-Veranstaltung „AR-Kandidatencheck 2017“
Die besagten neun Kandidaten stellen ein beinahe typisches Potpourri aus Jungs da, die gern aktiv ins Vereinsleben eingreifen wollen. Da ist der verdiente Ex-Spieler, da der ehemalige, hier ein stadtbekannter Allesfahrer. Auch ein Investmentprofi sowie ein Personalberater dürfen nicht fehlen. Fans sind sie alle, und jeder betont wie lange schon. Manche versuchen mit dem Verspritzen von Herzblut die Massen zu gewinnen, andere äußern klare Vorstellungen und Positionen. Wobei sich die Frage nach der Ausgliederung der Profi-Fußballabteilung als wichtigster Prüfstein erwies – klar, die meisten Anwesenden beim Kandidatencheck waren SCD-Mitglieder, also mehr oder weniger aktive Fans, und die haben’s bekanntlich nicht so mit dem modernen Fußball und dem Investoren-Unwesen.
Sind das wirklich bloß „Fan-Vertreter“?

Kandidat Tim Greiner-Mai

Kandidat Sebastian Fuchs
Die sportliche Kompetenz
Es war eines der heißeren Themen der letzten zwei Jahre: Muss mehr sportliche Kompetenz in den Aufsichtsrat? Als das Team in der zweiten Bundesliga nicht so recht auf die Beine kam, mahnten viele Fans und Mitglieder dies an. Denn – so die Argumentation – wie wolle der AR den Vorstand in sportlichen Dingen beraten, wenn keiner die viel zitierte sportliche Kompetenz besitzt? Wir sehen, es geht auch ohne einen Sportkompetenzler im Aufsichtsrat, aber ungeachtet dessen treten zwei Kandidaten auf diesem Ticket an – wie sie unterschiedlicher kaum sein können.
Da ist einerseits der Ex-Profi Dirk „Susi“ Böcker, der am wunderbaren Aufstieg aus der Oberliga in die damals drittklassige Regionalliga 2004 sportlich beteiligt war. Der Diplom-Kaufmann und MBA-Absolvent, der bei SportFive das Marketing erlernt hat, ist heute Geschäftsführer beim Bundesverband Garten-, Landschafts- und Sportplatzbau e.V. Manche F95-Fans haben ihm seinerzeit eine Aktion sehr übel genommen, bei der für Bayer Leverkusen in Düsseldorf aktiv Werbung betrieben hat, mit dem Ziel, Fans und Sponsoren rüberzuziehen – das ist allerdings auch schon neun Jahre her.
Andererseits steht auch die Torwartikone Wilfried Woyke auf der Liste, der zu seiner Kandidatur eigens eine eigene Website hat bauen lassen. Sportliche Kompetenz und Liebe zur Fortuna wird ihm sicher niemand absprechen. Ob man ihm aber abnimmt, dass er Fehlverpflichtungen wie die von ihm angeführten Trainer Büskens, Kramer und Kurz sowie der Manager Schulte und Azzouzi hätte verhindern können, bleibt offen. Ansonsten möchte Woyke nicht mehr über Landstraßen fahren, sondern Fortuna in der ersten Bundesliga sehen.
Die Experten und das Herzblut
Am schwersten haben es inzwischen die Experten beim Wahlvolk, denn denen nimmt man gewöhnlich das Bekenntnis zur Fortuna am wenigsten ab. Wir wissen, das ist ungerecht. Tatsächlich stellt sich gerade bei den Kandidaten Kai Brüning (Finanzen) und Stefan Derichsweiler (Personalentwicklung) die Frage, was sie mit ihrer Kompetenz im Aufsichtsrat bewirken wollen. Während das bei Kai Brüning völlig im Allgemeinen blieb, disqualifizierte sich Stefan Derichsweiler aus Sicht der Fans, weil er sich nicht deutlich gegen eine Ausgliederung der Profis positionierte.
Schon einmal vor 2009 Aufsichtsratsmitglied stellt sich mit Ralf Wihr zur Wahl. Und damit eine Person, die eng mit der Geschichte der aktiven Fans verbunden ist, aber in letzter Zeit nicht sehr sichtbar war. Er war 1991 der erste gewählte Fan-Beauftragte und später bei Waldhof Mannheim und bei 1860 München tätig. Viel mehr Erfahrung rund um den Profifußball hat natürlich Bernd Restle, den manche schnöde „Masseur“ oder „Physiotherapeut“ nennen, obwohl seine Praxis am PJS viel, viel mehr zu bieten hat und in den Kreisen der Berufsfußballer und des DFB einen enorm guten Ruf genießt. Fast 40 Jahre arbeitet Restle nun für die Fortuna und hält es für an der Zeit, seinen Erfahrungsschatz im Aufsichtsrat einzubringen. Seine Vorstellungsrede war temperamentvoll, aber leider mit wenig Nährwert versetzt.
Und beinahe außer Konkurrent tritt dann auch noch Peter Förster an, der Metzgermeister aus der Altstadt, der in den Achtzigerjahren Präsident war und bei dem der langjährige Fortuna-Fan nie so ganz genau weiß, ob man ihm dankbar sein soll oder froh, dass er im Verein nichts mehr zu sagen hat. Wenn der Pitter spricht, scheint die Zeit stehengeblieben zu sein, denn er stellt sich vor wie sich in früheren Jahren viele F95-Offizielle bei Wahlen vorgestellt haben – es fühlt sich immer ein bisschen an wie Nachtreten. Weil Peter Förster sich nicht klar gegen die Ausgliederung ausgesprochen hat, ist er – zumindest bei den Fans – chancenlos.
Erfrischend wenig Klüngel
Im Vorfeld gab es berechtigte Befürchtungen, dass die eine oder andere Seilschaft versuchen würde, ihre Kandidaten in Stellung zu bringen. Der eine oder andere Klüngel rührte auch den Sommer über, aber letztlich sind keine offensichtlichen Vertreter einer „Mafia“ unter den Personen, die sich zur Wahl stellen. Das ist sehr erfreulich und erleichtert dem geneigten Wähler sein Abstimmverhalten. Auffällig aber war der Unterschied in den grundsätzlichen Zielvorstellungen. Offensichtlich glauben einige Kandidaten immer noch, dass die Fans den Verein um jeden Preis wieder in der ersten Bundesliga sehen wollen. Hört man sich aber mal bei den aktiven Anhängern der Fortuna um, dann sieht eine Mehrheit das mit einiger Skepsis. Vielen gilt die Liga 1 als Ausbund an Kommerz, als fanfeindlichen Auswuchs des Soccer Entertainment Business. Klar, jeder würde gern mal einen richtigen Aufstieg feiern, nachdem der Preetz und sein Anwalt uns 2012 darum gebracht haben. Aber insgeheim liebäugeln nicht wenige mit der Rolle als Fahrstuhlmannschaft à la SC Freiburg, weil die Fortuna dann ihre Identität, ihre Kultur und ihre Traditionen nicht auf dem Altar des großen Geldes opfern muss.
So gehen also mehrheitlich die Tendenzen unter den Fans vor allem in Richtung Bewahren. Dies soll sich mit Hilfe des nächsten Aufsichtsrats vor allem darin äußern, dass jeglichem Versuch einer Ausgliederung der Profis ein Riegel vorgeschoben wird. Den Verein als Verein zu stärken – ein integrierter Bestandteil dieser Forderung – gehört in denselben Zusammenhang. Und die materielle Unabhängigkeit soll eher durch ernstzunehmende Transfererlöse als durch Investitionen von außen erzielt werden. Kann natürlich sein, dass am kommenden Sonntag eine andere Klientel, eine andere Auswahl an stimmberechtigten Mitgliedern in der Arena aufläuft, die ganz andere Vorstellung hat und dementsprechend gewissen Kandidaten bevorzugt. Man wird sehen.
[Korrespondent vor Ort und Fotograf: Hajo Kendelbacher]
2 Kommentare
Hmm … die Beiträge von Herrn Derichsweiler habe ich ein wenig anders verstanden. Er hat – so habe ich ihn verstanden – gesagt, dass es aus rechtlichen Gründen sein könne, dass der Spielbetrieb nicht mehr durch den e.V., sondern durch eine ausgelagerte Gesellschaft erfolgen müsse. Aus rechtlichen Gründen – Stichwort: Gemeinnützigkeit, die bei erwirtschafteten Gewinnen in Zweifel gezogen werden könne, wie es bei anderen Vereinen schon geschehen ist. Einer wie auch immer gearteten Übernahme durch Dritte hat er damit nicht das Wort gesprochen! Er hat dies vielleicht semioptimal dargestellt, aber man wird konzedieren müssen, dass es auch nicht ganz leicht ist, dieses schwer zu fassende Szenario unmissverständlich zu kommunizieren.
Da mittlerweile auch in der 2.Liga bei einigen Traditionsvereinen (Nürnberg, Bochum, Kaiserslautern) die Konquistadoren einfallen werden, wird in nicht allzu ferner Zukunft der Tag kommen, an dem auch in dieser Liga ohne Ausgliederung die dritte Liga leider näher als denn die Erste ist.
Wie dünn die finanzielle Luft in der dritten Liga ist, wissen wir 95er wohl mit am besten.
Dann werden wir sehen, wie stabil unsere DNA ist.