Auch in Düsseldorf war die Wende von den Siebzigern- zu den Achtzigerjahren eine wilde Zeit der politischen und kulturellen Umbrüche. Leider wird diese Epoche gern auf die Zeit des Punks in der Stadt reduziert, obwohl dies eher eine Marginalie der damaligen Entwicklungen war. Viel einschneidender war da die Gründung der Grünen und die enorme Bewegung auf vielen Ebenen, die das auslöste. Denn nicht nur Öko-Freaks und Pazifisten sowie die lästigen K-Gruppen-Kader strömten in Düsseldorf zu den Grünen, sondern alle möglichen Initiativen und Gruppen aus den gesellschaftlichen Randbereichen. Innerhalb von Monaten strukturierte sich so eine umfassende alternative Infrastruktur – die auch eher exotische und abseitige Projekte anzog. Unter anderem die Zweigestelle der Otto-Mühl-Sekte AAO. Die bezeichnete ihr Wirken selbst als „Kulturangebot“, nannte sich „Backofen“ und residierte in einem großen Mietshaus an der Volmerswerther Straße.

Auf der Vomerswerther Straße

Google-Map: Volmerswerther Str. 35 - hier stand das Haus vom Backofen; es wurde für den Hotelneubau abgerissen

Google-Map: Volmerswerther Str. 35 – hier stand das Haus vom Backofen; es wurde für den Hotelneubau abgerissen

Es wird 1981 gewesen sein, als zwei junge Frauen bei den Versammlungen der hiesigen Grünen auftauchten, zwei nette, freundliche Frauen. Nach ein paar Terminen outeten sie sich als Mitglieder des „Backofen„, einer Kommune (so nannten sie das) mit einem speziellen Kulturangebot. Sie luden uns alle ein, einmal vorbeizuschauen, das Haus anzuschauen und die Leute kennenzulernen. Meines Wissens haben nur ganz wenige Freunde davon Gebrauch gemacht. Wir haben waren mit unserem damals zweijährigen Sohn sogar einige Male da. Es gab im Erdgeschoss ein kleines, schön eingerichtetes Café, wo Vorträge gehalten wurden, wo man sang und tanzte oder einfach nur nett beisammensaß. Im Haus selbst gab es keine Wohnungen, sondern nur einzelne Zimmer für die einzelnen Mitglieder. Im ersten Stock fanden sich die sogenannten „Therapieräume“. Alles war frisch renoviert und eher im sachlichen als im damals üblichen Chaos-Hippie-Stil eingerichtet.

Es gab auch Kinder im „Backofen“, die aber meist nicht bei den Eltern wohnten, sondern in kleinen Gruppen mit einer Aufsichtsperson. Dass es sich um eine Filiale der Otto-Mühl-Sekte AAO handelte, erfuhren wir zunächst nicht. Dass die ganze Sache aber weniger mit Kultur als mehr mit irgendwelchem Psychokram zu tun hatte, wurde uns schnell klar. Bei unserem dritten oder vierten Besuch bot man uns an, doch mal eine individuelle Therapiesitzung zu machen. Wir lehnten dankend ab. Denn inzwischen hatte ich mich genauer über die AAO informiert. Zu meinen Kunstakademie-Zeiten bis 1975 war ich mit der Kunst von Otto Mühl in Berührung gekommen – vor allem durch einen in der Aula gezeigten Film über eine Mühl-Aktion voller nackter Leiber, Blut und Scheiße.

Angesetzt auf die Grünen

Über die Gründung seiner Sekte und dem Aufbau der Kommune im Friedrichshof wusste ich bis 1982 ebenso gut wie nichts. Die beiden Frauen waren ganz offensichtlich auf uns Grüne angesetzt. Sie beteiligten sich nicht nur an Versammlungen, sondern halfen auf die eine oder andere Weise aktiv bei der Parteiarbeit mit. Nach ein paar Besuchen im Backofen und unserer Ablehnung der Therapie wurden wir nicht mehr explizit eingeladen, wobei die eine Backofen-Frau mir versicherte, wir seien jederzeit willkommen im Haus. Über die Monate freundeten wir uns mit dieser Frau, nennen wir sie Barbara, immer mehr an. Eines Abends rief sie an, Panik in der Stimme: Wir werden angegriffen! Auf der Straße haben sich Autonome zusammengerottet und drohen uns. Ja, sagte ich, dann ruft dich die Polizei. Haben wir, antwortete sie, aber die kommen nicht. Okay, sagte ich, ich kann ja mal direkt auf der Wache am Präsidium anrufen. Das tat ich dann auch. Ein paar Stunden später rief Barbara erneut an und bedankte sich. Es sei dann innerhalb von Minuten ein Streifenwagen aufgetaucht, und der Schwarze Block sei geflüchtet.

Vier Wochen später – wir hatten zuvor nichts mehr von ihr gehört – rief Barbara wieder an. Sie sei ausgestiegen, wohne jetzt in Ratingen. Ob wir uns mal treffen könnten, sie habe einiges zu erzählen. Das taten wir ein paar Tage später. Alle Bewohner hätten arbeiten müssen, einige im Haus, andere außer Haus. Geld habe man komplett abgeben müssen. Die attraktiveren Frauen wie sie und ihre Freundin F. habe man aufgefordert, als Escort-Damen zu arbeiten, sich besonders an wohlhabende, ältere Männer heranzumachen und denen möglichst viel Geld abzuknöpfen. Sie sei auch auf dem Friedrichshof gewesen, aber darüber wolle sie nicht sprechen. Kurze Zeit später – es wird im Frühjahr 1982 gewesen sein, hatte der „Backofen“ das Haus auf der Volmerswerther Straße aufgegeben und war nach Meerbusch gezogen. Gleichzeitig stellte die Kommune ihr Missionstätigkeit vollständig ein, und 1983 sprach niemand mehr davon.

Das Ende

Mit Barbara hatten wir noch lose Kontakt, der ungefähr 1984 abriss, weil sie zurück nach Österreich ging. Wir haben danach nie wieder etwas von ihr und auch nicht vom „Backofen“ gehört, und ich selbst hatte die ganze Geschichte verdrängt bis ich vor einigen Jahren mehrere Dokumentationen über Otto Mühl, über die AAO, den Friedrichshof und den Umzug nach Gomera sah. Besonders ein Film, in dem Kinder von Kommunemitgliedern berichteten, schockierte mich zutiefst. 1988 war Otto Mühl zu sieben Jahren Haft verurteilt worden, die er vollständig absaß. Später lebte er mit einer kleinen Gruppe Erwachsene an der Algarve, wo er 2013 starb. Zwei Jahre zuvor hatte er sich öffentlich bei den Opfern seines Missbrauchs und Psychoterrors entschuldigt. Die AAO hat ich 1991 aufgelöst nachdem Mühl im Prozess alle Anschuldigungen zugegeben und Aussagen über die massenhafte Beteiligung von Kommunemitgliedern gemacht hatte.

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