Bericht · Im abgedunkelten Eingangsbereich thronen die vier Kraftwerk-Roboter in ihren ulkigen Leuchtstreifenanzügen, und die Befürchtung kommt auf, die Ausstellung „Electro“ im Kunstpalast könne sich als lokalpatriotische Heldenverehrung entpuppen. Tut sie aber nicht, denn außer im monströsen Schaukasten tauchen Ralf, Florian und die anderen nur noch in einem separaten Kinoraum auf, wo die bekannten Kraftwerk-Filme in 3D laufen; die nötigen Brillen gibt’s gleich beim Lösen der Eintrittskarten als Zugabe. Überhaupt spielen die musikalischen Künstler der Elektrik eher Nebenrollen. Das ist schade. [Lesezeit ca. 5 min]
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Dafür hat man einer anderen Lokalgrößen einen eigenen Raum gewidmet, dem weltgroßen Fotokünstler AG nämlich. Ein bisschen Gursky geht immer, und weil er vor Zeiten mal sehr auf Techno stand, zeigen sie zwei riesige und ein paar kleine Formate, deren Fotomaterial bei den legendären Mayday-Sessions entstand. Der innere Zusammenhang zum Rest der Show besteht genau darin, denn der überwiegende Teil der Ausstellung ist dem Konzert- und Partywesen der rund 20 Jahre währenden House- und Techno-Ära gewidmet.
Bis geneigte Besucher:innen zu diesem Abschnitt vordringen, werden sie mit einer erheblich vollgestopften Sammlung technischer Geräte konfrontiert, deren Zusammenstellung einen Hauch zufällig daherkommt. Zu sehen sind diverse elektrische und elektronische Apparaturen, die bisweilen ziemlich nach Steampunk duften. Erklärt wird wenig, aber optisch machen die Schaukästen schon was her. Glanzstück ist das annähernd naturgetreue Labor des wahnwitzigen Komponisten Karlheinz Stockhausen, dessen futuristischen Klangerzeugungsexperimente der Westdeutsche Rundfunk ab den Sechzigerjahren mit erheblichen Mitteln sponsorte.
Dazu einen Haufen diverser Keyboards und Synthesizer – vom Minimoog über die Roland-RB-Kisten bis zu allerlei MIDI-Controllern -, der einigermaßen chronologisch angeordnet sind. An manchen dürfen Interessierte sich Kopfhörer überstülpen und selbst klimpern. Die Wand ist mit einem Zeitstrahl versehen, auf dem Phasen der Entwicklung der elektrischen Musik von vor dem zweiten Weltkrieg bis ins Jahr 2021 durch Stichwörter repräsentiert werden.
Spätestens jetzt wird klar, dass die Kurator:innen der Ausstellung an der Historie des elektrischen und elektronischen Musikmachen wenig interessiert waren, sondern eigentlich eine Show über die wilden Zeiten der Raves, Clubs und Paraden im Sinn hatten. Das ist schade. Denn eine Präsentation der beinahe 120 Jahre alten Historie der technischen Sounderzeugung wäre sicher hochinteressant. Vielleicht sind die Erklärungen in diesem Bereich deshalb auch so karg. Wobei es – im Vergleich zu anderen Ausstellungen, auch hier im Kunstpalast – wohltut, dass die Macher:innen den didaktischen Zeigefinger in der Schublade belassen haben.
Nun zum Musikkonsum und zum Tanzen. Der Acid-House-Gott Laurent Garnier hat insgesamt elf Playlisten zusammengestellt, die diese Ausstellung rund um die Uhr beschallen. Der angesprochene freundliche Museumswärter, ein älterer Herr, meinte, nach einer Schicht dröhne ihm doch schon oft der Schädel, denn die Mucke ist laut. Aber vom Feinsten zusammengestellt, wenn auch nicht wirklich repräsentativ. Wer irgendwann in den Bumm-Zing-Jahren selbst zu diesen Rhythmen gezappelt hat, wird Mühe haben, die Füße vor den Exponaten stillzuhalten.
In dieser Abteilung gibt es nicht nur was auf die Ohren, sondern optisch eine Menge zu entdecken. Wirklich rare Fotos zeigen den Zeitgeist von den hippiesken Raves in Großbritannien über das Treiben im Berliner Tresor und im Berghain bis hin zu den tanzenden Straßen vom Höhepunkt des Chicago House. Dazu jede Menge Reliquien: Picture-Discs, Techno-Masken, Flyer, Plakate und Gegenständen, die eine wesentliche Rolle gespielt haben.
Vieles ist interaktiv. Videos lassen sich nicht nur bestaunen, sondern per Kopfhörer auch akustisch verwerten. Und was am meisten überzeugt: Die spezifische Ästhetik der House- und Techno-Ära wird in ihrer einzigartigen Entwicklung eindrucksvoll dargestellt. Natürlich ist das besonders anregend für die Veteran:innen jener Szenen, also denen, die auf illegalen Raves irgendwo in der Pampa mitgeturnt haben, die sich 72-Stunden-Wochenenden in Clubs um die Füße geschlagen haben und die möglicherweise bei den Loveparaden vor der Zeit der Durchkommerzialisierung dabei waren.
Angenehm auch bei diesem Gang des Electro-Menüs: Keine Heldenverehrung der DJs und Produzenten, keine Überhöhung der Ära, kein sentimentaler Schnickschnack, keine quälende Museumspädagogik. Tatsächlich bleibt vieles für Menschen, die diese Musik nie mochten und in den Achtzigern mehr auf Discofox standen, verwirrend und nicht nachvollziehbar. Und das die übergroße Bedeutung synthetischer Drogen für die Tanzenden auf annähernd Null runtergespielt wird, hilft auch nicht besonders.
So erweist sich das Kraftwerk-Kino als Rückzugsort für die älteren Leute, die gern dreidimensional über die Autobahn fahren und sich das Stück in massiv stereophon produzierter Version anhören, manche auch mehrfach. Das Zeitfenster an einem Freitagvormittag war komplett ausgebucht, das Publikum sehr gemischt, aber am Ausgang durchweg zufrieden. Wer allerdings eine historische Darstellung der Electro-Musik erwartet, sieht sich getäuscht. Wobei sich eine Ausstellung mit einem Fokus darauf sicher auch lohnen würde.
Ausstellung „ELECTRO. VON KRAFTWERK BIS TECHNO“ im Kunstpalast im Ehrenhof
noch bis 15. Mai 2022
geöffnet Dienstag bis Sonntag jeweils 11 bis 18 Uhr, Donnerstag 11 bis 21 Uhr
Eintritt 12 Euro, ermäßigt 9 Euro
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Katalog: im Online-Shop für 29,80 Euro, im Museumsshop vor Ort für 24,80 Euro