701 und Mischa Kuball bringen Leben ins Apollo-Hochhaus

Bericht · Nicht nur der Stadtgraben trennt die Königsallee, Düsseldorfs Luxus-Boulevard wird vor allem von der Graf-Adolf-Straße geteilt: in die feine und die so genannte kleine Kö. Die Feine verliert auf dem Weg zur Kreuzung inzwischen an Niveau. Es gibt immer wieder Leerstände. Währenddessen mausert sich die kleine Kö inzwischen zu einem quirrligen Szeneviertel. [Lesezeit ca. 4 min]

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Ok, auch hier gibt’s Leerstände und tote Schaufenster-Augen, an das einstige von OB Erwin erträumte China-Zentrum erinnert nur ein Hinweis auf Peking-Ente für zwei. Doch aktuell kann man hier junge Kunst entdecken. Der Kunstverein 701, eine gemeinnützige Initiative Düsseldorfer Persönlichkeiten aus Kunst und Kultur, benannt nach der quer durch Düsseldorf kurvenden Straßenbahnlinie 701, hat keine eigene Ausstellungsflächen. Eine Chance und Herausforderung, immer wieder spannende temporäre Räume für die Kunst zu entdecken. Auch für die Düssedorfer.

Wo einst die Goldenen Zeiten des Apollo begannen (Foto: I. Hufschlag für TD)

Wo einst die Goldenen Zeiten des Apollo begannen (Foto: I. Hufschlag für TD)

Das ist diesmal besonders gut gelungen. Aktuell ist es das Büro-Hochhaus mit der Hausnummer 106. Ein für Düsseldorf geschichtsträchtiger Platz. Hier, an der Ecke Adersstraße, stand schon von 1899 bis 1966 das einstige Apollo-Theater auf historischem Grund und Boden des einstigen Bahnhofs der Köln-Mindener Eisenbahn-Gesellschaft. Das waren goldene Zeiten für die Friedrichstadt. Zarah Leander und Louis Armstrong traten hier auf, Charlie Rivel, Lionel Hampton, später die Kessler-Zwillinge. Nach dem Abriss des palastartigen Apollos entstand 1967 auf dem Grundstück ein nüchternes 18-geschossiges Bürohochhaus. Auch das ist nun abbruchreif. Geplant ist ein neues, teilweise begrüntes Hochhaus, das den heutigen Anforderungen entspricht – unten bleibt Aldi drin.

Gibt‘s schon lange nicht mehr auf der Kö. (Foto: I. Hufschlag für TD)

Gibt‘s schon lange nicht mehr auf der Kö. (Foto: I. Hufschlag für TD)

Zwischenzeitlich nutzen 23 junge Künstler leerstehende Räume als Ateliers – und hoffen, so lange wie möglich bleiben zu dürfen. Bei den momentanen Beschaffungsschwierigkeiten von Baumaterial stehen die Chancen nicht schlecht. Erst mal ist es aber jetzt eine perfekte Location für „False Spring“ (falsche Feder), ein Kooperationsprojekt des Kunstvereins 701 und des Seminars „Urban Stage ff.“ des Düsseldorfer Künstlers Mischa Kuball an der Kunsthochschule für Medien in Köln.

False Spring, Eröffnung Freitag, 13. Mai 2022, 17 bis 21 Uhr, Königsallee 106, Eingang Adersstraße, 40215 Düsseldorf, Öffnungszeiten: Freitag bis Sonntag 12 – 18 Uhr. Eintritt frei; www.701kunst.de

Die Ergebnisse sind jetzt auf 2.500 Quadratmetern im Foyer und im 1. Obergeschoss zu sehen. Viel Platz, viel Licht. Jeder Künstler, jede Künstlerin hat einen Raum für sich, voneinander getrennt und doch durch Glaswände verbunden – auch thematisch. Das macht den Rundgang noch mal spannend.

Wohnen auf der Kö muss nicht teuer sein. (Foto: I. Hufschlag für TD)

Wohnen auf der Kö muss nicht teuer sein. (Foto: I. Hufschlag für TD)

Kuball: „Das Arbeiten mit den Studenten folgt einem tiefen Interesse, sich außerhalb der Hochschule mit urbanen Leerstellen und Räumen zu beschäftigten, die Fragen an ihre sozio-politische Nutzung und kulturelle Bedeutung sowie ihre stadtgeschichtliche Einschreibung stellen.“ Dabei geht es vor allem um umweltbezogene und konsumgesellschaftliche Themen, konzeptionell und auch mit vielfältigem, oft verblüffenden Materialien.

Auch wenn der Abriss droht, alldieweil ist für die Nahversorgung gesorgt. (Foto: I. Hufschlag für TD)

Auch wenn der Abriss droht, alldieweil ist für die Nahversorgung gesorgt. (Foto: I. Hufschlag für TD)

Alle Werke sind für den speziellen Ort entwickelt worden. Auch das größte, das der jungen mongolischen Künstlerin Javkhlan Ariunbold. Im Foyer schwebt eine 6 mal 9 Meter lose Leinwand. Allein schon die Hängung war ein Abenteuer, weder von oben noch von unten zu bewerkstelligen, auch nicht mit Hilfe einer Drohne. Letztendlich wurde das monumentale Werk an seinen Platz geschossen, mit einer so genannten Flitsche, einer urzeitlichen mechanischen Schleuderwaffe.

Warum das Murmeltier nur vier Finger hat, erzählt die mongolische Künstlerin Javkhlan Ariunbold auf 6 x 9 Metern. (Foto: I. Hufschlag für TD)

Warum das Murmeltier nur vier Finger hat, erzählt die mongolische Künstlerin Javkhlan Ariunbold auf 6 x 9 Metern. (Foto: I. Hufschlag für TD)

Das passt zu dem mongolischen Märchen, das uns die Künstlerin erzählt von einem Bogenschützen, der sieben Sonnen mit Pfeilen durchbohren soll. Sechsmal trifft er. Vor der siebten Sonne durchkreuzt eine Schwalbe die Flugbahn. Damit gilt die Aufgabe als nicht gelöst, der junge Held hat, ist verloren, muss sich in ein Tier verwandeln. Er trennt sich mit einem Messer einen Daumen ab. „Das ist der Grund, warum Murmeltiere nur vier Finger haben“, erklärt die Künstlerin lächelnd.

Der Aufbau ist geschafft, die Einladungen verschickt. Auf dem Bürgersteig vor dem Abrissprojekt ist ein temporärer Schlafplatz installiert. Kunst? Krempel? Oder gar Kitsch, wie er gerade in einem Erdgeschoss dekoriert und wahrscheinlich bald feilgeboten wird? Die kleine Kö pubertiert.

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