Nein, das ideale Open-Air-Popmusikfestival gibt es nicht, dafür sind die Ansprüche der Festivalgänger viel zu unterschiedlich. Manche robben eben gern durch den Schlamm, um die Rocksuperstars hören zu dürfen, andere swingen lieber gepflegt vor kleinen Jazz-Bühnen und andere wollen einfach nur Party. Aber das Open Source Festival auf der Galopprennbahn in Grafenberg kommt in mancher Hinsicht dem idealen Festival schon sehr nah. Denn es findet an einem wunderschönen Ort mit reichlich Platz und deshalb in entspannter Atmosphäre statt und – ist optimal organisiert. Wenn man als Düsseldorfer Besucher überhaupt irgendeinen Minuspunkt finden möchte, dann ist es das fehlende Angebot an Altbier. Aber sonst: Tolles Konzept mit drei Bühnen unterschiedlicher Größe, die sich nicht stören, jede Menge extrem gutes und leckeres Street Food, mit den Open Squares eine kreative Zeltstadt, klasse Anfahrt mit dem Shuttle-Bus vom Staufenplatz aus und – nicht zuletzt – ausreichend viele Festival-Toiletten. Das alles wirkte sich auch in diesem Jahr wieder auf die rund 6.500 Besucher aus, die einen tollen Abend ganz entspannt im Hier und Jetzt genossen.
Im Grunde ist das Open Source Festival ein riesengroßes Picknick mit viel Musik. Auf der großen Wiese vor der neuen und der alten Haupttribüne der Rennbahn lagern Freundeskreise und Familien auf Decken und führen sich die tollen Snacks sowie kalte Getränke zu Gemüte. Es wird geplaudert, und ab einer gewissen Entfernung zur Main Stage spielt die Musik dort kaum noch eine Rolle. Niemand drängelt, denn es ist genug Platz für alle da. Wer nicht direkt vor der Hauptbühne stehen mag, sucht sich ein nettes Plätzchen auf der altehrwürdigen Tribüne und hat dann einen optimalen Blick. Der Sound war bei allen Acts dort prima ausgesteuert, vielleicht ein bisschen zu leise für diejenigen, die sich ganz nach oben unters Tribünendach verzogen hatten. Aber auch das ist gewollt, denn die Gigs auf den drei Bühnen überschnitten sich. Deshalb gab es eine Stelle auf dem Gelände, nahe am Ausgang, an der man die Musik von allen Bands gleichzeitig hören konnte – ein wunderbares Sounderlebnis.
Geht auch ohne Euphorie
Headliner war die Londoner Truppe Hot Chip, die den Abend schließen sollten und dies auch taten. Allerdings wirkten die Herren an den Instrumenten und Knöpfen nicht wirklich hochmotiviert, was sich auch in der Stimmung auf der Wiese niederschlug. Aber auch das war letztlich Ausdruck der Tiefenentspannung – nichts konnte Musiker und Zuhörer aus der Ruhe bringen. Nur am Anfang des Gigs von Bilderbuch, dieser wüsten Ösi-Truppe mit der Rampensau, kam Bewegung ins Volk. Bei den ersten Tönen strömten die Leute Richtung Bühne und machten Anstalten, aber mal so richtig auszuflippen. Aber auch das ließ nach ein paar Songs nach. Für die Musiker dürfte dieses Open Source Festival also nicht ganz einfach sein. Den Melancholikern von Get Well Soon dürfte diese Atmosphäre sogar entgegen gekommen sein, denn deren Musik erwartet keine Euphorie im Publikum.
Und so schwebte ununterbrochen Sound über dem Gelände und – wie fantasievolle Schreibkollegen es stereotyp ausdrücken – „süßliche Rauchschwaden“; auch die trugen zur friedlichen Stimmung erheblich bei. Selbst auf einen Junggesellinnenabschied, bei dem nicht nur die Braut ein Brautkleid trug, übertrug sich dieses Flair, das kaum zu größeren Tanzereien führte, sondern höchstens zum sanften Wiegen der Körper. Dass sich genau eine kleine Männertruppe mittleren Alters irgendwo erheblich die Kante gab und in diesem Zustand meinte, vorbeiflanierenden Damen, ähem, Komplimente machen zu müssen, trübte den Eindruck nicht. Egal wo man ein Päuschen machen wollte, immer traf man auf freundliche Menschen aller Altersgruppen, die am Bierstand auch gern mal jemandem den Vortritt gewährten, der durstiger war. Wobei die Altersklassen in unterschiedlicher Stärke vertreten waren: In der Mehrheit waren eindeutig die Menschen zwischen 30 und 45 – vielen von denen deutlich den Kreativberufen zuzuordnen; dazu nicht wenige Familien mit Kindern, dann eine Menge Youngster, die offenbar immer mit dem ganzen Freundeskreis angerückt waren. Aber auch die alten Düsseldorfer Popkulturbeobachter waren vorbeigekommen, um zu sehen, was „diese Hipster“ festivalmäßig so auf die Beine stellen.
Ein sehr, sehr breites Spektrum
Für die war besonders die Carhartt WIP Stage rechts neben dem Eingangsbereich interessant, wo u.a. drei hochinteressante deutsche Bands spielten. Die aktuell vielleicht beste Punkband Deutschlands, die Mofapunks namens Oiro aus Düsseldorf, wirkte deutlich deplatziert, gab er ab alles. Praktisch als totales Gegengewicht überzeugte später die Max Graef Band mit einer spannenden Jazzrock-Elektro-Mischung. Die Lokalheroen von Stabil Elite hatten sich verstärkt, was ihrem Sound nicht unbedingt guttat.
Noch weiter auseinander lagen die Musiken, die im Container gespielt wurden, der auf der Rückseite der Neuen Tribüne als Young Talent Stage diente. Aber gerade hier fand sich das aufmerksamste Publikum; natürlich oft bestehend aus Friends & Family der Auftretenden. Manche Band kämpfte mit dem Sound, und mancher Soundcheck zog sich quälend in die Länge. Und trotzdem: An Qualität mangelte es auch dort nicht. Wobei „Qualität“ neben „Entspannung“ vielleicht das zweite Zauberwort dieses Festivals ist: Eine derartige Häufung von Foodtrucks und Imbisswagen und -ständen auf höchstem Niveau findet man sonst nur auf expliziten Streetfood-Festivals. Vom „Pulled Beef“ und den unvermeidlichen Burger über klassische Fritten und Currywurst bis hin zu marokkanischem Pfannenbrot, gefüllten Backkartoffeln und dem Wagen namens „Las Vegans“ war für jeden etwas dabei. Und das zu vernünftigen Preisen.
Vorfreude auf das Open Source Festival 2016
Stammgäste waren durchweg zufrieden; auch damit dass dieses wunderbare Festival organisch wächst und so keine Hektik aufkommt. Unter den Neulingen gab es ein paar Stimmen, die das Ganze zu lasch fanden. Aber die meisten werden wiederkommen, wenn im Jahr 2017 wieder die Sonne langsam, aber unaufhaltsam neben der Neuen Tribüne untergeht und das ganze Festival in ein magisches Sommerabendlicht taucht.