Beschaulichkeit am Schwanenspiegel. Eine schwimmende Bühne. Sie wirkte klein im Verhältnis zu den rund hundert Sitzgelegenheiten, die entlang des Ufers, entsprechend der Corona-Regeln, mit Abstand platziert waren. Die Zuschauer verfolgten das Geschehen über Kopfhörer. So konnte selbst ein leises Flüstern oder das Knistern von Papier zu einem Ereignis werden, das die Zuschauer in den Bann zog. Das asphalt festival, das wegen Corona bereits als abgesagt galt, fand doch statt. Nicht so groß wie in den vergangenen Jahren, nicht so international. Reporterin Maria Diederichs hat das Festival mit Christof Seeger-Zurmuehlen nachbereitet.

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„Die Jungs da“, sagte Christof Seeger-Zurmühlen und zeigte auf die Bühne, wo drei junge Männer Szenen für den nachmittäglichen Auftritt probten, „kommen aus Leipzig. Während wir in den letzten Jahren viele internationale Künstler engagierten, sind es diesmal hauptsächlich Deutsche. Das Risiko, dass An- oder Abreise nicht klappen, ist einfach zu hoch.“ Dazu kam natürlich, dass Christof Seeger-Zurmühlen und sein Team die Planung des Festivals auf Grund von Corona komplett über den Haufen werfen mussten.

Christof Seeger-Zurmuehlen am Schwanenspiegel (Foto: Ralf Puder)

Christof Seeger-Zurmuehlen am Schwanenspiegel (Foto: Ralf Puder)

„Wir wollten und mussten Flagge zeigen. Das war uns klar, nachdem wir das Asphalt Festival in der gewohnten Form mit seinen Indoor-Spielstätten absagen mussten. In einer Krise, in der sich das Leben der Bürger so grundlegend veränderte, darf sich die Kunst nicht in Schweigen hüllen. Sie hat die Aufgabe, den Dialog über die Themen der Zeit aufrecht zu halten. Sie muss Präsenz zeigen und ihr Publikum animieren, im Gespräch zu bleiben. Das Publikum schaut sich die Vorstellung an und wird die Diskussion über die aufgeworfenen Themen zu Hause fortzusetzen.“ So wurde kurz entschlossen eine Alternative gesucht und gefunden: Eine schwimmende Bühne vor den Terrassen am Schwanenspiegel. Das Düsseldorfer Umweltamt genehmigte den Plan unkompliziert und schnell.

Die Themen des Asphalt Festivals: wie gewohnt politisch, provokant

Im Stück „Der Volkskanzler“ nahm Maximilian Steinbeis, der Betreiber des Verfassungsblogs, das Grundgesetz unter die Lupe. Darstellerinnen von gleich drei Ensembles setzten sich auf künstlerische Weise mit dem Thema Feminismus auseinander. Alice Hasters liest aus ihrem Buch „Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen“.

Nachmittägliche Probe der Leipziger Theatergruppe (eigenes Foto)

Nachmittägliche Probe der Leipziger Theatergruppe (eigenes Foto)

„Viele nehmen unser politisches System der Demokratie als selbstverständlich hin“ erklärt Christof Seeger-Zurmühlen. „Dass das aber ein Irrtum ist, hat gerade die Corona-Krise uns das deutlich vor Augen geführt. Persönliche Freiheiten wurden drastisch eingeschränkt, das Grundgesetz in Teilen außer Kraft gesetzt.“ Die Demokratie sei ein kostbares Gut, das immer wieder erkämpft werde müsse, erläutert er weiter und kommt auf den zweiten Spielort im Rahmen des Festivals zu sprechen.

Das Polizeipräsidium am Jürgensplatz

Hier trat das Theaterkollektiv Pièrre.Vers vor historischer Kulisse auf. In dem Stück „Aktion:Aktion!“ werden anhand von Zeitzeugenaussagen die Ereignisse vom 16. und 17. April 1945 nachgezeichnet. Mutige Düsseldorfer, die sich Aktion Rheinland nannten, setzten sich für die kampflose Übergabe der Stadt an die Amerikaner ein. Fünf von ihnen wurden von Nazis ermordet.

Die Performance fand im Hof des Polizeipräsidiums unter freiem Himmel statt. Einzig der Gang zur Toilette ermöglichte einen Blick ins Innere des imposanten Jugendstilbaus mit dem Mosaik eines Reichsadlers zu Füßen und dem Rondell mit der Gedenktafel an die Reichspogromnacht 1938 in luftiger Höhe. Im Rahmen eines dreijährigen Kunst- und Forschungsprojekts gemeinsam mit der Mahn- und Gedenkstätte ist Christof Seeger-Zurmühlen mit der Aufarbeitung einzelner Episoden aus der Nationalsozialistische Geschichte Düsseldorfs beschäftigt.

Wie werden nachfolgende Generationen über uns urteilen?

Wieder einmal der Fingerzeig auf die vorherige Generation? Macht man es sich nicht allzu leicht, zum x-ten Male die Verbrechen der vorangegangenen Generation im Rückblick zu betrachten? Haben wir es hier nicht mit Schwarz-Weiß-Malerei und Schuldzuweisungen zu tun? Christof Seeger-Zurmühlen sieht das anders.

„Für mich ist die Beschäftigung mit den Themen des Nationalsozialismus keine Frage der Schuldzuweisung. Die letzten Zeitzeugen sterben. Wir haben die Pflicht, die Erinnerung wach zu halten. Die Themen der heutigen Zeit sind das Erstarken der Rechtskonservativen, der Rassismus und die Benachteiligung von Frauen. Der Nationalsozialismus hat uns gezeigt, wohin das führt.“

Corona fokussiert Probleme von heute

„Aber natürlich müssen wir auch den Blick nach vorne richten. Der Corona-Virus zeigt uns die Probleme von heute. Hell erleuchtet wie unter einem Brennglas. Die schlechten Arbeitsbedingungen in der Fleischverarbeitung, der ungebremste Konsum einer Wegwerfgesellschaft und erneut rollenden Autolawinen. Darüber hinaus wurde uns mit erschreckender Klarheit die Ungerechtigkeit vor Augen geführt, wie Menschen unverschuldet in Bedürftigkeit abrutschen.“ Christof Seeger-Zurmühlen spricht von Künstlern sowie von Freischaffenden in allen Berufen, die im Gegensatz zu Menschen mit Festanstellung, sowohl finanziell als auch sonst vor einem Desaster standen. Er selbst sei, Dank Arbeitsvertrag mit dem Düsseldorfer Schauspielhaus, vor Schlimmerem bewahrt.

„Aber natürlich gibt es auch für mich Themen, die mich traurig machen, durch die ich mich schlecht fühle. Der Klimawandel zum Beispiel. Anscheinend ist der Leidensdruck immer noch nicht groß genug. Wie sehr würde ich mir wünschen, dass die Politik entschlossener handelte statt zu zögern, zu vertagen. Aber nein, die Politik ist nun mal behäbig.“ Er kommt noch einmal auf Rolle der Kunst in der Gesellschaft zurück. „Wir Kunstschaffenden haben die Aufgabe und die Pflicht, immer wieder auf die wirklichen Probleme der Zeit hinzuweisen.“

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