[Der folgende Beitrag erschien zuerst im Mai 2008 in der Vorläuferpublikation „Rainer’sche Post“ dieses Magazins. Wir haben aktuelle Infos eingestreut…] Ja, auch unter einem Oberbürgermeister Joachim Erwin, dessen Gattin sich gelegentlich öffentlich vor männlichen Genitalien ekelt, gibt es in Düsseldorf ein Rotlichtmilieu. Nun könnte die schönste Stadt am Rhein in Sachen „Sünde“ – wie man BILDlich so sagt… – nie mit der südlich angelegten verbotenen Stadt am falschen Ufer mithalten. Wie auch, ist doch die Gründung der Colonia Aprippina darauf zurückzuführen, dass die römischen Truppen unterwegs einen Großpuff brauchten. So hielt sich das hübsche Residenzstädtchen geschichtslang weitestgehend fern von der käuflichen Liebe – wie man in der BILD die Prostitution, auch die zwangsweise, euphemistisch nennt. Da bleibt den Spesenrittern hier wenig mehr als Bertis> Edelbordelle (Seventy-Seven Rethelstreet), der mobile Straßenstrich an der Fährstraße, die Drogennutten der Charlottenstraße und eben die knapp hundertfünfzig Meter Mintropstraße.

Stand 2020: Bert Wollersheim ist inzwischen ein C-Promi im TV, die Bordelle an der Rechtelstraße gibt’s auch nicht mehr, und die Spesenritter sind auf die Escort-Girls angewiesen, die ihre Dienste auf diversen Internetplattformen anbieten.

Mintropstraße nachts (2008)

Mintropstraße nachts (2008)

Diese kurze Straße zählt zum Bahnhofsumfeld, das ja immer irgendwie unbürgerlich ist. Das war hier schon immer so, deshalb waren die Mieten immer gering, was früh die Migranten anzog, die nun um die Ecke rund um die Ellerstraße mit Klein-Marokko ein wirklich liebenswertes Viertel betreiben. Schönster Ausdruck der arabisch-nordafrikanischen Kultur ist das Hamam Sahara auf der Mintropstraße. Im Vorübergehen umwehen einen neben dem starken Geruch nach Kernseife diverse orientalische Düfte aus dem Haus, das rechts von einem Gemüsehändler und der Filiale einer marokkanischen Bank umgeben ist. Das angrenzende vietnamesische Restaurant, in dessen Beletage rund um die Uhr vietnamesisches TV lief, konsumiert von mehreren vietnamesischen Familien, während der Laden im Erdgeschoss vorwiegend leer blieb, hat nach vier Jahren aufgegeben.

Stand 2020: Das Hamam Sahara ist inzwischen eine Institution, die schon lange nicht mehr nur von türkischen und marokkanischen Mitbürger*innen frequentiert wird. Es sorgt immer noch für diesen frischen Geruch auf der Mintropstraße. Den Gemüsehändler, allerdings unter anderer Leitung, gibt es ebenfalls immer noch; dort kann man immer noch alle Produkte kaufen, die man für marokkanische Gerichte braucht. Zwischen diesen beiden Fixpunkt gibt es wieder ein Asia-Restaurant.

Auch der Dönermann, der am Rand des Mintropplatz dem legendären Pizzabäcker Luigi folgte, ist nicht mehr. In der winzigsten Pizzeria der Stadt konnte man einen Nahblick aufs Milieu werfen, denn hier verkehrten die Miniluden und Makrozocker genauso wie die Halbweltrussen und -albaner. Das in bester Harmonie und bei italienischem Aperitif. Luigi nahm Preise nach Daumenmaß und hatte langen den begabtesten Bäcker am Ofen. Aber dann wuchsen ihm Rosinen im Hirn, er wollte vergrößern, mietete einen erfolglosen Eckladen an der Pionierstraße, nahm sich für den Ausbau fast zwei Jahre Zeit, in der sein Geschäft auf Null und er in der Szene in Vergessenheit geriet, um sich schließlich ins Heimatland abzusetzen.

Stand 2020: Alle Nachfolger von Luigi in seinem Luxusladen an der Pionierstraße waren erfolgreicher als er, aber länger als vier Jahre hat noch nie einer durchgehalten.

Lange galt die Mintropstraße als Nabel der Tabledancerei. In der Nachfolge der guten alten Stripteasebars der sechziger und siebziger Jahre existierte ein Riesenschuppen unter wechselnden Namen. In Künsterkreisen galt es mal als schick, dort Stammgast zu sein. Apropos Künstler: In den Hinterhöfen der Straße betreiben Maler, Bildhauer, Fotografen und Musiker ihre Ateliers und Studios; hier wurde unter anderem die geniale Musik der Gruppe Kraftwerk geboren.

Stand 2020: Der Gewerbehof von Randolff Rahmen (dort schufen Ralf Hütter und Florian Schneider-Esleben die wunderbare Kraftwerk-Musik) ist inzwischen Schwerpunkt kreativer Geschäftstätigkeit, was der Mintropstraße aber nicht geschadet hat.

Sex-Vision auf der Mintropstraße

Sex-Vision auf der Mintropstraße

Seit etwa 2003 heißt die Tabledancebar mit der lasvegaesken Leuchtreklame „Solid Gold“. Geöffnet wird gegen Mitternacht, aber dann kommt erstmal niemand. Wenn überhaupt Scharen einfallen, dann ab etwa drei Uhr morgens. Im Morgengrauen tritt der Concierge vor die Tür und raucht eine Zigarette. Gegen sechs verlassen die Damen das Etablissements, ganz unflott in Jeans und Sweatshirts gekleidet, Converse statt Highheels an den Füßen. Schon lange läuft der Laden nicht mehr so richtig. Deshalb hat man auf eine neue Zielgruppe gesetzt: Das Reklamefenster wirbt ganz offensiv um Junggesellenabschiede. So tief ist das Solid Gold also gesunken, dass es sich von verklemmten Provinzspießern ernähren muss, die den Vollsuff für Freiheit und Abenteuer halten und Sex für eine Folge von Alkoholkonsum.

Das „Klein-Paris“ zwei Häuser weiter scheint mal wieder geschlossen zu sein, und auch an der Ecke zur Adersstraße geht’s dem „Explosion“ anscheinend nicht gut. Dort lagen früher Fernseher im Schaufenster, die durch das Abspielen von Softpornostreifen amerikanischer Machart notgeile Männchen anlocken wollte. Bleibt nur noch das Glücksspiel. Aber auch das scheint die Mintropstraße verlassen zu haben. Noch vor fünf Jahren gab es insgesamt sieben Spielsalons, von denen jeder wusste, dass das richtige Geschäft in den Hinterzimmern lief. Zwei Überfälle, einige Schießereien und Messerstechereien sowie die anschließenden regelmäßigen Razzien haben offenbar die Zocker vertrieben, denn bis auf eines sind die anderen Spielhöllen verschwunden.

Stand 2020: Das „Klein-Paris“, das sich ganz altmodisch Nightclub nenn existiert ebenso wie das „Solid Gold“, wobei letzteres sich anscheinend mehr in Richtung Nachrestaurant entwickelt hat, also zu einem Dienstleister, der die Nachtarbeiter des Millieus dann mit Essen versorgt, wenn’s woanders nichts mehr gibt.

Dem geneigten Beobachter scheint, diese Szene sei an die Corneliusstraße verzogen. An der Ecke gibt es ein Wettbüro, das so tut als sei es ein Wettbüro, indem es in den Schaukästen ganz altmodisch die Rennergebnisse aus Frankreich auslegt. Leider vergessen die Verantwortlichen meist, diese gegen aktuelle Papiere auszutauschen. Dass hier um gutes Geld gezockt wird, verraten ein paar Indizien. So parken des Nachts schwere Limousinen und SUVs mit auswärtigen Kennzeichen (von BM über AC und DN bis OB, GE und DO) auf dem Gehweg, und wenn man sonntags am frühen Vormittag vorbeigeht, dann sieht man ausgelaugte Gestalten mit Sonnenbrillen in altmodischen Anzügen zigaretterauchend an der Straße stehen.

Unweit ist ein Automatenspielsalon untergebracht, der alle halbe Jahr neu eröffnet, wobei die Zahl der Spielgeräter drastisch sinkt. Das kann man aber auch nur sehen, wenn zwecks Lüftung die Tür offen steht, denn sonst sind die Jalousien rund um die Uhr heruntergelassen. Beide Einrichtungen werden nach Mitternacht übrigens gern von auf diese Klientel spezialisierte Pizzataxen versorgt. Ein Fahrer weiß zu berichten, dass sein Arbeitgeber nun speziell für dieses Geschäft einen Bäcker und zwei Transporteure eingestellt haben, die von elf Uhr abends bis fünf Uhr morgens Dienst tun, und dass er in dieser Zeit genau so viel verdiene wie sonst während des Tages.

Stand 2020: Die Ära der Corneliusstraße als Glücksspiel-Hotspot war von kurzer Dauer; es ist nichts mehr davon übrig. Im ehemaligen Wettbüro an der Ecke Fürstenwall haust jetzt eine Kochschule, und selbst der klandestine Spielsalon ist inzwischen beinahe seriös. Ein Veteran des Millieus versucht es alle paar Jahre wieder, ein Nachtlokal zu etablieren und kriegt nie etwas auf die Reihe…

Ja, auch Düsseldorf hat sein Milieu. Es ist klein, beinahe niedlich und so gar nicht bösartig. Eigentlich gehört es von Amtswegen vor dem Aussterben geschützt, denn die Vorstellung, die Mintropstraße könnte einst so schickimicki werden wie Berlin-Mitte, stimmt schon vorab tieftraurig.

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