Bericht · Eine seltene Spezies, aber ja! Es gibt sie noch. Auf einer Parkbank, auf einem Mäuerchen am Hafen, irgendwo in der Altstadt. Einen Zeichenblock auf den Knien, ein paar Bleistifte, vielleicht ein Aquarellkasten daneben. Selbst im größten Trubel scheint für sie die Zeit still zu stehen. Ein paar der vorbeiziehenden Passanten halten inne, betrachten den Zeichner. Der ein oder andere versucht verstohlen einen Blick zu erhaschen. Andere wieder um nähern sich vorsichtig. Scheu, jederzeit bereit, sich wieder zurück zu ziehen. [Lesezeit ca. 4 min]

Die Korruption (Ill.: C. Tiemessen)

Die Korruption (Ill.: C. Tiemessen)

Carsten Tiemessen ist mit seiner Liebe zum Skizzieren und Malen nicht allein. Seit einigen Jahren ist er aktives Mitglied der Urban Sketchers, einer mittlerweile weltumspannenden Bewegung, die im Jahre 2007 in Seattle (USA) von Gabriel Camparino ins Leben gerufen wurde. Die Urban Sketchers zeichnen drinnen und draußen. Das was sie zeichnen, zeigt das, was sie sehen. Ihre Zeichnungen erzählen Geschichten und werden auf verschiedenen regionalen und überregionalen Internet-Plattformen veröffentlicht.

Die Internetforen der Urban Sketchers präsentieren sich erstaunlich wenig beeindruckt von der wiederkehrenden pandemischen Diskussion. Wenige „Maskenbilder“, dafür aber interessante Einblicke in Lebenswelten auf fernen Kontinenten. Eine Kirche in Melbourne mit bewundernswerter Genauigkeit konstruiert und zart coloriert; ein norwegischer Fjord im Lichte der Abendsonne, im Vordergrund eine dick verschneite Tanne, drei oder vier Gestalten am Tisch bei Kerzenschein in einer Londoner Wohnung – im Stil von Van Goghs „Kartoffelesser“, ein Rotkehlchen vor dem Fenster auf der Suche nach Futter. Aber auch Abstraktes, Komisches und Phantastisches in bunten Farben mischt sich darunter, die in ihrer Vielfalt den Betrachter zum Staunen bringen.

Wir zeigen die Welt, Zeichnung für Zeichnung. (Zitat: Manifest der Urben Sketchers)

Merowingerstraße 26 (Ill.: C. Tiemessen)

Merowingerstraße 26 (Ill.: C. Tiemessen)

„Wir sind die Regionalgruppe Düsseldorf/Köln. Aktuell sind 800 Leute angemeldet, von denen vielleicht vierzig oder fünfzig regelmäßig Bilder hochladen. Im Jahr 2020 hatten wir eine Ausstellung im Düsseldorfer Rathaus. Von zwanzig Teilnehm*innen wurden über hundert Arbeiten gezeigt.“

Der magische Moment im Alltäglichen

In einer Zeit, in der die moderne Technik alles mit einem Klick einfängt, wirken Zeichnungen der Urban Sketchers wie ein Relikt aus vergangenen Epochen. Sie strahlen Ruhe und Gelassenheit aus. Sie bringen den Betrachter dazu, den magischen Moment im Alltäglichen zu sehen.

Der erste Schneemann (Ill.: C. Tiemessen)

Der erste Schneemann (Ill.: C. Tiemessen)

Tiemessen selbst ist dem Ruf der künstlerischen Gestaltung früh gefolgt. Als junger Mann studierte er Grafik-Design und machte sich 1991 als Illustrator selbstständig. Ein Beruf, dem er bis heute treu geblieben ist. „Ja, man kann davon leben. Einige meiner Kollegen sind mit ihren Arbeiten sogar wohlhabend geworden. Aber das ist so, wie überall im Leben. Sternekoch wird schließlich auch nicht jeder.“

Illustrationen habe es schon immer gegeben, erläutert er weiter. Auch künftig werden sie uns auf Schritt und Tritt begleiten. In der Werbung, in Büchern und Zeitschriften, im Straßenbild und nicht zu vergessen, das Internet. Gerade da sind sie überall präsent.

Das Internet ist voll von Illustrationen

Allein die Animationen in Computerspielen und Trickfilmen! All das basiert auf Werken von fantasievollen, versierten Illustratoren und Designern. Einer unter vielen, aber einer der Berühmtesten und wohl auch Reichsten ist der Japaner Ken Sugimori; er wurde 1966 geboren. Heutige Berufbezeichnung: Video-Game- und Character-Designer, Illustrator, Manga-Künstler und Direktor der Franchisefirma Pokémon unter dem Dach von Nintendo.

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Das Fortuna-Büdchen am Rheinufer (Ill.: C. Tiemessen)

Das Fortuna-Büdchen am Rheinufer (Ill.: C. Tiemessen)

„Computeranimation ist nicht so mein Ding. Warum auch immer. Meine Vorbilder haben alle noch mit Stift, Papier und Farben gearbeitet. Anfänglich waren es Tomi Ungerer, F.K. Waechter und Robert Gernhardt. Aber auch der Comic war auf Dauer nichts für mich. Was mich und mein späteres Schaffen wirklich prägte, das waren die Expressionisten, die neuen Wilden.“

Ein gutes Beispiel hierfür ist Tiemessens Zeichnung des Fortuna-Büdchens. Bunte, kräftige Farben, schwarze Umrisslinien, die die Farbenpracht zusammenfassen. Wohl kaum ein Düsseldorfer, der es nicht kennt und eine feste Vorstellung davon hat. Eine Vorstellung, die durch eine Zeichnung wie diese ein kleinwenig ins Wanken gerät.

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