Bericht · Das Wilhelm-Marx-Haus wird 2024 hundert Jahre alt. An kaum einem anderen prominenten Bauwerk Düsseldorfs lassen sich die einschneidenden städtebaulichen Veränderungen dieser Zeitspanne besser ablesen. Bevor im Sommer 1922 die Bauarbeiten begannen, fand sich am Ende der Hindenburgwall (heute: Heinrich-Heine-Allee), da wo die Kasernen- und die Ludendorff-Straße (heute: Breite Straße) den Beginn der Carlstadt markierten, ein offener Platz, geschmückt mit dem Moltke-Denkmal und dem Musikpavillon – jede Menge Militär, also. Kein Wunder, denn zuvor erstreckte sich einen Block weiter die Infanteriekaserne und der Exerzierplatz an der Westseite der Kö. Außerdem war es ab etwa 1920 en vogue, Straßen und Plätze nach den großen Generälen zu benennen. Das Wilhelm-Marx-Haus hätte also gut und gern Schlieffen- oder eben Moltke-Haus getauft werden können. Weil dieses zwölfgeschossige Hochhaus aber technisch und architektonisch für die Moderne und für das Selbstbewusstsein der Stadt Düsseldorf stand, wurde es nach dem Oberbürgermeister Wilhelm Marx benannt, dem Mann, der Düsseldorf zwischen 1899 und 1910 zu einer der wichtigsten Großstädte Deutschlands gemacht hat. [Lesezeit ca. 6 min]

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Auch wenn man es nicht auf den ersten Blick sieht: Das Hochhaus und sein alter Seitenflügel sind Stahlbetonkonstruktionen. Dieses Prinzip hatte ein gewisser Monsieur Lambot Mitte des 19. Jahrhunderts erfunden als er ein Boote aus stahlbewehrtem Beton baute und sich die Methode patentieren ließ. Der Gärtner Joseph Monier wiederum entwickelte Pflanzenkübel aus Beton, in die er Stahlgeflecht eingoss, damit sie nicht so leicht zerbrachen – die Stäbe in Stahlbetonelementen heißen bis heute unter Fachleuten „Moniereisen“. Der Mann ließ sich sein System, das eine Weiterentwicklung der Lambot’schen Methode war, ebenfalls patentieren und regte damit die Fantasie von modern denkenden Bauingenieuren weltweit an. 1892 ließ sich dann François Hennebique ein System patentieren, bei dem nach Art des Monsieur Monier Decken und Wände von Gebäuden hergestellt werden konnten.

Damit fing die Ära der Hochhäuser in Düsseldorf an: das Wilhelm-Marx-Haus (Foto: TD)

Damit fing die Ära der Hochhäuser in Düsseldorf an: das Wilhelm-Marx-Haus (Foto: TD)

So richtig populär wurde die Stahlbetonweise zunächst beim Bau von immer größeren Brücken. Erst in den Nullerjahren des 20. Jahrhunderts entstanden Bürohäuser und Fabrikhallen auf diese Weise. Die wurden zunächst bestaunt, aber nicht besonders häufig nachgeahmt. Insofern war es 1919/20 eine mutige Entscheidung, das Wilhelm-Marx-Haus nach dieser Methode zu planen. Zumal es weltweit keine Erfahrungen damit gab, einen solchen Klotz aus Beton und Stahl auf einem derart schwierigen Untergrund zu errichten. Denn unter dem Platz fanden sich Reste der ehemaligen Wallanlagen samt Gräben, die teilweise nur mit Sand und Kies verfüllt worden waren. Aber nicht nur die Bauweise war hochmodern. Das Wilhelm-Marx-Haus war eines der ersten Bauten Deutschlands mit Heizung und Warmwasserversorgung auf allen Etagen sowie einem automatischen Be- und Entlüftungssystem.

Der gesamte Komplex des Wilhelm-Marx-Hauses von oben gesehen (Luftbild via wilhelm-marx-haus.de)

Der gesamte Komplex des Wilhelm-Marx-Hauses von oben gesehen (Luftbild via wilhelm-marx-haus.de)

Für jene Jahre ebenfalls ungewöhnlich, wenn auch eindeutig von den Wolkenkratzern in den USA inspiriert, war die Ausstattung mit Aufzügen. Neben dem Paternoster, einem der modernsten seiner Zeit, gab es einen normalen Lift sowie zwei Lastenaufzüge. Unter dem Zeltdach hinter der Balustrade der obersten Ebene verbarg sich ein Wasserbehälter für den Brandschutz – auch dies eine hochmoderne Lösung für die Sicherheit in Hochhäusern.

Das Wilhelm-Marx-Haus auf einer Ansichtskarte aus den 1920er-Jahren (via oldthings.de)

Das Wilhelm-Marx-Haus auf einer Ansichtskarte aus den 1920er-Jahren (via oldthings.de)

Nach der Eröffnung im Jahr wurde das Wilhelm-Marx-Haus neben Schlossturm und St. Lambertus auf Anhieb zum wichtigsten Düsseldorfer Wahrzeichen; Dutzende Ansichtskarten aus den Zwanzigerjahren belegen das. Dass der Bau für die Düsseldorfer Börse gebaut worden war, unterstrich die Bedeutung der Stadt als Handelsplatz für Wertpapiere – zwei prächtig mit Marmor und viel goldenen Applikationen geschmückte Säle beherbergten das sogenannte „Parkett“. In den oberen Etagen gab es ausschließlich Büros, viele davon genutzt von Banken und Maklern. Im Seitenflügel waren unter den Arkaden Ladengeschäfte untergebracht.

Im zweiten Weltkrieg wurde das Wilhelm-Marx-Haus relativ stark beschädigt; weil das auch die Borsensäle betraf, wurde der Handel 1943 ganz eingestellt. Unmittelbar begannen mit großem Aufwand die Wiederherstellungsarbeiten, und ab 1951 blieb das Haus bis zur Eröffnung der neuen Börse an der Berliner Allee im Jahr 1957 Sitz der Handelsparketts. Danach wurden insbesondere das Erdgeschoss und das erste Geschoss mehrfach umgebaut, sodass von prächtigen Sälen heute nichts mehr zu sehen ist. Weil der Komplex der Stadt gehörte, wurden nach dem Wegzug der Börse sukzessive immer mehr Ämter dort untergebracht. Im Gegensatz zu einer landläufigen Meinung hat das große Düsseldorfer Chemieunternehmen Henkel nie Büros im Wilhelm-Marx-Haus gehabt. Dass ab 1957 die berühmte Persil-Reklame durch die Nacht leuchtet, hatte mit dem massiven Ausbau der Werbung für die Konsumentenprodukte des Konzerns zu tun. Übrigens: Im November 2009 wurden die alten Konstruktionen mit den Neon-Schriftzügen durch eine völlig neue Anlage ersetzt. Die berühmten Buchstaben („Da weiß man, was man hat“) verbergen sich nun hinter der Balustrade und werden nachts hydraulisch hochgefahren und eingeschaltet.

So wild ging es beim U-Bahn-Bau am Wilhelm-Marx-Haus zu (Foto: daub-ita.de)

So wild ging es beim U-Bahn-Bau am Wilhelm-Marx-Haus zu (Foto: daub-ita.de)

Als man Ende der Sechzigerjahre mit der U-Bahn-Planung begann, stand rasch fest, dass an der Kreuzung der 1963 nach dem großen Schriftsteller umbenannten Allee mit der Wall- und Flingerstraße der zentrale Bahnhof entstehen sollte. Das bedeutet konkret: Man würde den Tunnel und Teile des unterirdischen Knotenpunkts unmittelbar unter dem Wilhelm-Marx-Haus graben müssen. Wie gesagt: In kompliziertem Untergrund. Man entschloss sich zu einer radikalen Lösung. Das Hochhaus und Teile des Seitenflügels wurden komplett untergraben, das Gebäude auf 490 Betonpfeiler gesetzt. Und weil man gerade dabei war, verschob man das Carschhaus um 27 Meter in südlicher Richtung (dazu wurde die Fassade vollständig abgetragen, die Elemente nummeriert und gelagert, um das Aussehen wieder Eins-zu-Eins wiederherstellen zu können.)

Das Haus, das nach dem großen OB Wilhelm Marx benannt wurde, bei Nacht (Foto: TD)

Das Haus, das nach dem großen OB Wilhelm Marx benannt wurde, bei Nacht (Foto: TD)

Außerdem wurde zwischen 1982 und 1984 nach den Entwürfen der Architekturbüros Hentrich, Petschnigg & Partner (HPP) und Rhode, Kellermann, Wawrosky und Partner (RKW) ein neuer Seitenflügel zur Kasernenstraße angebaut. Damit entstand an dem „Stadtbrückchen“ genannten Platz im Süden des Gebäudes ein an drei Seiten umschlossener Innenhof. Bei der Gelegenheit wurden der andere Flügel und das Gebäude rechts vom Hochhaus saniert und umgebaut; 1984 entstand so die Bühne für das Juta (Junges Theater in der Altstadt). Tatsächlich war das Wilhelm-Marx-Haus zwischen 1979 und 1984 nur sehr eingeschränkt nutzbar. Und obwohl die Stadt als Eigentümerin in dieser Zeit einige Millionen in Neubau, Umbau, Sanierung und Renovierung gesteckt hatte, beschloss der Rat, den Komplex aus Kostengründen zu verkaufen – 1988 bekam Düsseldorf schlappe 58 Millionen DM von einer französischen Immobilienfirma.

In der Folge zogen die Amtstuben nach und nach weg – vor allem ins technische Rathaus nach Bilk – und solvente Mieter bezogen die Büros im Hochhaus. Immer mehr Läden und Gastronomiebetriebe eröffneten, und nach allem, was man weiß, erwies sich das Wilhelm-Marx-Haus für den neuen Eigentümer als ausgesprochen profitabel, sodass sie es mit ordentlichem Profit an die Düsseldorfer WestInvest verkaufen konnte, die es in einen offenen Immobilienfonds einbrachte. Nachdem etliche Jahre wenig am Gebäude getan worden war, unterzog man nun die Fassade einer gründlichen Renovierung, der ersten seit 1984.

Ein Kommentar

  1. Großartig, wie TD sich immer wieder in die Geschichte der schönsten Stadt am Rhein „hineinbuddelt“, sodass Düsseldorfer und andere Fans eine – in diesem Fall wörtlich! – vertiefte Sicht auf ihre Stadt gewinnen!