Lesestück · Eine Beziehung zwischen Großbritannien und Düsseldorf besteht bestenfalls seit rund 160 Jahren, als nämlich die damals technisch und wirtschaftlich um Jahre vorauseilenden Briten den Fuß in die Tür des Ruhrgebiets bekommen wollten. Weil unsere kleine Stadt damals in ähnlichem Maße auf die Industrieansiedlung setzte wie der Ruhrpott, kamen Fabrikanten hierher, gründeten Tochterfirmen – aber blieben auf der Insel wohnen. Im Gegensatz zum Beispiel zu den Industriepionieren aus Nordfrankreich und Belgien, die sich feine Villen im Umland bauten. Was damals eher ein schwelender Konkurrenzkampf war, wurde nach dem zweiten Weltkrieg zu einer tiefen Freundschaft, denn Düsseldorf hat den Briten viel zu verdanken. [Lesezeit ca. 7 min]
Es begann mit der Verordnung Nr. 46 der britischen Militärregierung vom 1. August 1946 und dem Satz: „The new land will comprise the existing provinces of Nordrhein and Westfalen. Its capital will be Dusseldorf.“ Ja, Düsseldorf wurde von unseren britischen Freunden zur Landeshauptstadt gemacht. Man sagt, der Ur-Kölner Konrad Adenauer habe mit dem Fuß aufgestampft und gebrüllt „Die Tommys soll der Teufel holen!“ als er von dieser Entscheidung erfuhr. Tatsächlich fiel die Entscheidung für Düsseldorf aus ziemlich pragmatischen Gründen. Einerseits war Düsseldorf ein bisschen weniger zerstört als Köln und bot mit halbwegs nutzbaren Gebäuden (Stadttheater, Stahlhof etc.) den nötigen Rahmen, andererseits war den Verantwortlichen aus dem Vereinigten Königreich klar, dass NRW nur klappen würde, wenn man die Balance zwischen Rheinland und Westfalen herstellen und halten könnte. Da fiel Köln als strunzrheinische Metropole ebenso raus wie alle Großstädte im Revier (vor allem Essen und Dortmund).
Hinzu kam, dass Düsseldorf als „Schreibtisch des Ruhrgebiets“ in England bekannt war und aus der erwähnten Zeit der britischen Industrieauswanderung einen guten Ruf genoss. Das lag vor allem an einem gewissen W. T. Mulvany, der 1855 nach Düsseldorf gekommen war und im Auftrag britischer Unternehmer Zechen (Hibernia und Shamrock) im Ruhrgebiet gründete. Weil der Mann von Hause aus Wasserbauingenieur war, befasste er sich zum Ende des Jahrhunderts mit der Frage, wo Düsseldorf denn seinen dringend nötigen vergrößerten Hafen bauen könnte. Seine verrückte Idee: Für den „Durchgangsverkehr“ einen Durchstich zwischen Heerdt und Lörick einzurichten und das gesamte rechte Ufer des Rhein dazwischen als Hafen zu nutzen.
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Wie man weiß, wurde daraus nichts, und überhaupt schliefen die britisch-düsseldorferischen Beziehungen fast vollkommen ein. Bis zur Aufteilung der Zonen nach dem Sieg der Allierten über das deutsche Nazi-Reich. Den Briten fiel das Gebiet des späteren Nordrhein-Westfalens zu sowie Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Hamburg. Wie in den anderen Besatzungszonen wurden Militärregierungen eingesetzt und Truppenstützpunkte eingerichtet. Der Niederrhein, das Bergische Land und der Westen des Ruhrpotts kamen unter die Ägide der neu gegründeten Rhine Army, der für die Verwaltung zuständige Sitz wurde in Düsseldorf installiert. Die britischen Truppen und ihre Familien wurden in Düsseldorf in Stockum, Golzheim und rund um den Nordpark angesiedelt – noch heute heißt die große Rasenfläche im Südwesten des Parks „Engländerwiese“.
Hier trieben die Untertanen von Queen Elizabeth vor allem Sport: Soccer, natürlich, aber auch Rugby und vor allem Cricket. In den Fünfzigern pilgerten sportinteressierte Männer gern in den Nordpark, um den Tommys bei der Ausübung dieser merkwürdigen Sportarten zuzuschauen. Da war mein Vater schon einen Schritt weiter. Den hatte es über ein paar Umwege Mitte 1945 als Kriegsgefangenen in den bäuerlichen Flecken Cockley Cley in der Grafschaft Norfolk verschlagen, wo er als Zwangsarbeiter auf einer großen Farm eingesetzt wurde. Er selbst erzählte, man habe ihn gleich in die Familie aufgenommen und er habe sich dort nie als Gefangener oder Feind gefühlt. Zwar musste er ordentlich schuften, nahm die Mahlzeiten aber am Familientisch ein. Man ließ ihn sogar den Führerschein machen. Nach zwei Jahre war er beinahe wie ein Sohn der Familie, und möglicherweise wäre er – wie Hunderte, wenn nicht Tausende andere Kriegsgefangene – dortgeblieben, hätte er nicht erfahren, dass seine Mutter überlebt hatte und per Rotem Kreuz nach ihm suchen ließ.
So geprägt vermittelte uns der Vater ein äußerst positives Bild von Großbritannien. Und obwohl er bis zu seinem Tod im Jahr 1967 nie wieder nach England kam, blieb er ein großer Freund des Vereinigten Königreichs. Das führte dazu, dass wir lernten, die britische Ingenieurskunst sei der deutschen überlegen und dass er um 1960 herum ernsthaft darüber nachdachte, ein britisches Auto zu kaufen. Natürlich besuchten wir mit der Familie die britische Wirtschaftsausstellung, die 1965 in der alten Messe am Rheinufer stattfand. Besonders begeistert war mein Vater von den Hovercrafts, den Luftkissenfahrzeugen.
In welchem inneren Zusammenhang diese Ausstellung mit dem Besuch der Queen im selben Jahr stand, weiß ich nicht. Jedenfalls erinnere ich mich noch intensiv an diesen Tag im Mai 1965. Denn beinahe hätte ich die englische Königin berührt! Mit meinen zwölf Jahren war es mir gelungen, bis ganz nah an die Absperrungen zu kommen. König Elisabeth und Prinzgemahl Phillip wollten nach einem langen Tag in Düsseldorf mit dem Schiff weiter nach Duisburg reisen und kamen zu Fuß an der Rheinterrasse vorbei, um vom unteren Rheinwerft aus das Schiff zu betreten. Und genau stand ich. Mit einem Union-Jack-Fähnchen, heftig winkend, aufgeregt. Sie ging kaum einen Meter entfern an mir vorbei. Die Presseberichte aus jener Zeit reden von Hunderttausenden, die der Queen zugejubelt hatten.
Aber eigentlich hätten die Düsseldorfer viele Jahre früher einer Frau namens Phoebe Cusden zujubeln müssen, ihres Zeichen Bürgermeisterin des Provinzstädtchens Reading in der Grafschaft Surrey. Davon, dass die Briten Düsseldorf zur Landeshauptstadt gemacht hatten, profitierte die Stadt nämlich zunächst gar nicht. Im Gegenteil: Im März 1947 demonstrierten Tausende Bürger gegen die Beschlagnahme von Wohnungen für die Angehörigen der britischen Soldaten in Stockum. Den Sommer über kam es immer wieder zu Hungermärschen als Protest gegen die mangelhafte Versorgung der arbeitenden Bevölkerung.
Mit einem Brief an die Tageszeitung Berkshire Chronicle startete Mrs. Cusden, die davon erfuhr, die „Reading Düsseldorf Initiative“ als Hilfsprogramm für die hungernden Menschen. Aufgefordert waren die Bürger Readings, Versorgungspakete zusammenzustellen und über die Organisation nach Düsseldorf zu schicken. Bis zum folgenden Januar kamen so gut 100 Pfund Sterling (damals rund 2.000 Reichsmark entsprechend), eine halbe Tonne Lebensmittel, 150 gemischte Pakete und ein Dutzend Säcke mit Kleidung und Schuhen zusammen. Diese Mengen mögen aus heutiger Sicht nur von symbolischem Wert gewesen sein, lösten aber im Vereinigten Königreich viel Beachtung aus und halfen, die nach dem Krieg verständliche Abneigung der Briten gegen die Deutschen nach und nach aufzulösen.
Aus der Initiative entstand, angetrieben von Phoebe Cusden, ein Kinderhilfsprogramm, über das Dutzende Düsseldorfer Pänz für Wochen oder Monate nach Reading und Umgebung kamen, wo sie aufgepäppelt wurden. Dies war dann auch der Startpunkt für den regelmäßigen Schüleraustausch zwischen Großbritannien und der Bundesrepublik, der in den Sechzigerjahren seinen Höhepunkt fand als jedes Jahr Hunderte Schüler Düsseldorfer Gymnasien für zwei, drei und mehr Wochen nach England kamen und die Söhne ihrer Gasteltern im Austausch eine Zeit in Düsseldorf verbrachten. Dass besonders Düsseldorf in der Zeit zwischen etwa 1954 und 1974 stark durch die neue britische Popkultur geprägt wurde, ist also kein Zufall.
Natürlich hatten auch die hier stationierten Soldaten daran einen gewaltigen Anteil, denn die waren auch eifrige Altstadtgänger – allerdings wegen ihrer, ähem, Schlagfertigkeit teilweise mehr gefürchtet als beliebt. Die hörten allesamt BFBS (British Forces Broadcasting Service), wo die neueste Popmusik lief … und wir jungen Leute in Düsseldorf auch. Und in der Freizeit sah man sie durchaus im jeweils angesagtesten Kleidungsstil durch die Stadt gehen. Da konnte man sich etwas abgucken. So war 1967, 1968 auf dem Höhepunkt der Carnaby Street der Union Jack in Düsseldorf überall sichtbar: auf Klamotten, auf Tassen, auf Dekozeug und so weiter. Wer durfte, kaufte im NAAFI-Shop echte britische Lebensmittel ein, und Zugang zu britischen Filmen in Originalsprache im Globe Cinema zu haben, war ein großes Privileg.
Das alles ist Geschichte. Die Rhine Army ist schon lange aus Düsseldorf verschwunden, London und England sind seit den Punk-Zeiten nie wieder wirklich hip und cool geworden, und überhaupt wäre die Beziehung zwischen den Briten und den Düsseldorfern nicht wieder eingeschlafen, hätten die Queen und ihr Gatte 2004 nicht noch einmal in der NRW-Landeshauptstadt vorbeigeschaut und wären nicht ein paar Royals im Gefolge von UK-Politikern zur NRW-Geburtstagsfeier im Jahr 2016 rübergekommen. Dass die Beziehung ein bisschen unterkühlt daherkommt, hat auch damit zu tun, dass die Anzahl der in Düsseldorf gemeldeten Bürger des Vereinigten Königreichs in Relation zu anderen Nationalitäten verschwindend geringt ist.
[Unsere kleine Serie „Düsseldorf und die…:
1. Folge: Düsseldorf und die Italiener
3. Folge: Düsseldorf und die Franzosen]
Ein Kommentar
Mal ganz abgesehen von dem kleinen 12-jährigen Fahnenschwenker … hat mich beeindruckt, dass die wundervolle CROWN-Queen in 40 Jahren kaum gealtert war: „An meine Haut lasse ich nur Wasser und CD!“