Am 12. Februar 1967 wurde die Düsseldorfer EG zum ersten Mal Deutscher Eishockeymeister – unser Berichterstatter wäre beinahe dabei gewesen…
Lesestück · Verrückt, aber wahr: Der Höhenflug der DEG bis zum ersten Meistertitel im Jahr 1967 verlief beinahe parallel zur Entwicklung der Düsseldorfer Altstadt zur längsten Theke der Welt. Und diese beiden Trends waren in den Sechzigerjahren auf vielfältige Weise miteinander verbunden. Das kann ich aus eigener Anschauung bestätigen. Spätestens ab 1964 geriet die Altstadt immer mehr in die Hände der jungen Leute, die sich dem vorherrschenden Spießertum entziehen wollten, den Anhängern der Beatmusik und vor allem der Kunststudenten. Die DEG hatte sich in der zweitklassigen Oberliga zum Zuschauermagneten gemausert – den 10.500 Plätzen im Eisstadion an der Brehmstraße sei Dank. Das erste Spiel dort sah ich ungefähr 1960 dort zusammen mit meinem Vater, der sogenannte „Geländesitze“ gebucht hatte. Wir saßen in der Kurve direkt an der Band hinter dem schützenden Glas. Es ging gegen Preußen Krefeld, und wie ich später nachschlug, waren rund 6.000 Zuschauer im Stadion – mehr als doppelte so viele wie zu den Spielen der bayerischen Vereine im Schnitt kamen. [Lesezeit ca. 6 min]
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Die Atmosphäre war elektrisierend, auch wenn ich als gerade einmal Achtjähriger schon manchmal Angst bekam, wenn die Spieler – damals übrigens noch durchweg ohne Helm – auf unsere Ecke zugestürmt kamen, rasant bremsten, um dann gegen die Bande zu knallen. Jedenfalls: Ich war angefixt. Mein vier Jahre älterer Bruder übrigens auch. Wir verfolgten nun die Heimspiele. Vorwiegend von der Terrasse unserer Wohnung an der Tussmannstraße aus. Von dort konnte man über den Derendorfer Güterbahnhof hinweg Richtung Eisstadion schauen. Weil das damals noch nicht überdacht war, konnten wir die Tore für die DEG mitzählen, weil bei jedem Treffer Feuerwerkraketen gezündet wurden.
Außerdem schwappte bei günstigem Wind auch die Geräuschkulisse zu unser hinüber. Wenn Musik lief, wussten wir: Es ist Drittelpause. Einige Male passten wir die Pause zwischen dem zweiten und dem letzten Drittel ab, flitzten rüber zur Brehmstraße und verfolgten das Spiel kostenlos. An den Eingängen wurde nämlich nur bis zur Mitte des zweiten Drittels kontrolliert. 1965 dann der ersehnte Aufstieg in die Bundesliga. Ganz Düsseldorf fieberte dem ersten Heimspiel in der Oberklasse entgegen. Eintrittskarten bekam man damals nur am Eisstadion selbst und bei Hansi Sültenfuß an der Kaiserswerther Straße. Mein Bruder und ich standen an den Kassen am Südeingang an, um verbilligte Schülerkarten zu ergattern. Unsere gemeinsame Legende besagt, dass er die letzte bekam und ich leer ausging.
Für die Altstadt war ich im Gegensatz zu ihm noch zu jung, aber weil unser Vater beruflich mit der dortigen Gastronomie zu tun hatte, kannten mich manche Wirte, und so verbrachte ich schon als 13-Jähriger manche Abende in den dortigen Kneipen, ausgerüstet mit einem gefälschten Schülerausweis, der bescheinigte, dass ich schon sechzehn war. In der Altstadt gab es die alten Wirtshäuser und die Kneipen fürs Jungvolk (Weißer Bär, Auberge, Spiegel, Mitzi etc.). Man war auf Spaß ausgerichtet und pflegte einen leicht bösartigen Humor, der dann auch das DEG-Publikum auszeichnete. Tatsächlich entstanden etliche DEG-Gesänge in der Altstadt, und weil sich im Stadion schon ab 1965 die immergleichen Leute an denselben Stellen auf den Rängen trafen, die auch dieselben Kneipen in der Altstadt frequentierten, übertrug sich der sanft-ironische bis mild-aggressive Humor auf die Zuschauer.
Der Mythos vom Eistempel an der Brehmstraße entstand und machte bundesweit die Runde; in keiner anderen Eishockeyhochburg gab es etwas Vergleichbares. Ja, jede Menge Anfeuerungen und Gesänge, die im Eisstadion an der Brehmstraße erfunden wurden, fanden einige Jahre später ihren Weg in die Fußballstadien. Die Saison 1966/67 war die erste, in der in ganz Deutschland über die besondere Stümmung („Ei-jei-jei-jei, Karbeval am Brehmplatz!“) berichtet wurde – selbst die betuliche ZEIT brachte dazu einen Artikel:
Preußen Krefeld wurde mit dem kaum besonders erheiternden Ruf der Altmaterialienhändler „Lumpen – Eisen – Preußen“ empfangen, dem deutschen „immer-noch-Rekordmeister“ Berliner SC wurde in schlichtem Singsang der Hinweis „Absteiger“ zuteil, und wenn die gegnerischen Stürmer zum x-ten Male das Düsseldorfer Tor verfehlen, tönt es in ebenso frohgemuter wie hektischer Rhythmik entweder höhnisch „Ha-ha-ha“ oder großmütig lehrmeisterisch „üben-üben-üben“. Sehr angegriffen wurde der zwar nicht sehr feine, aber sich dafür reimende Spruch „Zick-zack Zigeunerpack“, mit dem gegnerische Spieler auf die Strafbank geleitet werden; und die Mienen der 35 Polizisten strahlen auch nicht eben eitel Zufriedenheit, wenn sie aus 10 000 Kehlen gesungen hören, daß sie da stehen und den ganzen Tag noch nichts getan hätten. Zum Repertoire gehört weiter der dem schwedischen „Heja Heja“ abgelauschte und auf den Düsseldorfer Spieler bezogene Aufschrei „Heja, Hoja, Dee Eee Gee“, der überaus vielsagende Reim „Und die Tölzer haun wir auch – mit dem Hammer auf den Bauch“, und die trutzige Herausforderung „Wer will es wagen, die DEG zu schlagen?“. Herausragende Gesangsdarbietungen sind weiter nach der Melodie des amerikanischen Folksongs „Otto schieß den Puck ins Tor – Halleluja“ (Otto ist Schneitberger), nach der Melodie des Schlagers vom gelben Unterseebot „Deutscher Meister wird die DEG, wird die DEG, wird die DEG“ und schließlich war bei Spielflauten um die Weihnachtszeit zu hören „… alles schläft, einsam wacht – Ottoooooo“. (Quelle: Die ZEIT vom 17.02.1967)
Das ganze Hickhack um die Wechsel von Otto Schneitberger, Sepp Reif und Hans Rampf zur DEG scherte uns wenig. Schließlich bildeten halbwegs ächte Düsseldorfer Jonges immer noch den Kern des Kaders – unter anderem Peter Gregory, der seine Karriere Mitte der Fünfziger beim kurzlebigen Konkurrenzverein EHC Düsseldorf begonnen hatte. Überhaupt stand bei Besuchen im Eisstadion an der Brehmstraße das Sportliche nicht immer im Vordergrund. Man ging hin, weil man immer hinging. Man traf die Leute, die immer hingingen. Man freute sich auf den Gesang aus 10.000 Kehlen und verspottete die nicht mitsingenden Wohlhabenden mit einem kräftigen „Scheiß Tribüne!“
Und wir machten das mit den Wunderkerzen. Ein Tütchen der funkelnden Feuerstäbchen dabeizuhaben, war Pflicht. Und wer keine eigenen mithatte, der bekam eben welche vom Nachbarn. Pyro war ohnehin kein Thema, denn – wie erwähnt – oben auf dem Plateau der Gegengeraden hielten sich die Feuerwerker auf, die jedes Tor der wunderschönen DEG mit dem Abfeuern einer Silvesterrakete feierten. Nicht nur Wunderkerzen und Feuerwerk (Böller waren schon damals sehr verpönt) konnte man ins Stadion tragen, sondern ganz selbstverständlich Essbares und eigene Getränke. Ein Typ um die 30 schleppte regelmäßig ein 10-Liter-Fäßchen auf seinen Stehplatz und schenkte lecker Alt an alle in der Nähe aus, die ein passendes Trinkgefäß hinhielten. Das ging so bis weit in die Siebzigerjahre hinein. Da hatten sich mehr oder weniger feste Gruppen gebildet, die ihre Stammplätze mit Flatterband absperrten und jeweils ein Mitglied ganz früh ins Stadion schickten, der diesen Bereich dann mit Zehen und Klauen verteidigte. In einen solchen Bereich eingeladen zu werden, war eine große Ehre.
Nur zwei Jahre nach dem Aufstieg wurde die DEG also Deutscher Eishockeymeister 1967. Mit einem 3:1 gegen den Mannheimer ERC am Sonntag, den 12. Februar 1967 machte dann eine grandiose Truppe unter einem einzigartigen Trainer den Titel klar: Rainer Gossmann, Hans-Joachim Schmengler, Dieter Hoja, Horst Hübbers, Horst Roes, Jochen Schmidt, Otto Schneitberger, Erich Böttcher, Peter Gregory, Karl Heitmüller, Kurt Jablonski, Ingo Lingemann, Sepp Reif, Karl-Heinz Löggow, Klaus Breidenbach, Reinhold Rief, Ferdinand Werdermann, Hans Rampf. Der Sieg brachte die DEG uneinholbar an die Spitze der Finalrundentabelle. Man kann davon ausgehen, dass dieses Ereignis von den Jungs erheblich gefeiert wurde, was ein paar Tage später zur einzigen Niederlage (1:3 in Landshut) führte. Mit einem 5:3 in Mannheim am 19. Februar war die Meisterschaft dann offiziell eingefahren.
Menschen, die dabei waren, berichten, dass eine Woche nach dem Rosenmontag des Jahres in der Altstadt noch einmal der Karneval fröhliche Urständ feierte. Der begann am Sonntagabend und zog sich bis Mittwoch hin. Ob es nach dem letzten Spiel, das ja auswärts stattfand, noch einmal so wild gefeiert wurde, ist nicht überliefert. Zu meinem tiefen Leidwesen gelang es mir übrigens nicht, auch nur eine Karte für eines der Spiele der Finalrunde zu ergattern. Das sollte sich bei den folgenden Meistertiteln in den Siebzigern und Neunzigern allerdings ändern.