Keine Frage, das Eisstadion an der Brehmstraße ist ein magischer, ja, in mythischer Ort. Und das nicht nur wegen der großen Vergangenheit in Sachen Eishockey. Seit den frühen Sechzigerjahren ist das Eis am Zoo nämlich auch eine Stätte des Sozialverkehrs. Während der Laufzeiten probieren Jugendliche beiderlei Geschlechts ihre Reize aus, und wenn Eislauf- und Eishockey-Eltern hinter der Bande ihre Brut anfeuern, dann kann man lernen, was Transfer von Ehrgeiz bedeutet. Verrückt genug, dass sich an diesen Ritualen in den vergangenen 50 Jahren kaum etwas verändert hat.
Die frühen Jahre
Tatsächlich war das Stadion am Zoo nach den Eistempeln in München und Berlin erst das dritte Stadion mit künstlicher Eisfläche in Deutschland. Ermöglicht hat den Bau auch das großzügige Sponsoring des Industriellen Ernst Poensgen. Der war es übrigens auch, der die Initiative zur Gründung der Düsseldorfer Eislauf-Gemeinschaft (DEG) übernahm; der Verein wurde am 8. November 1935 gegründet, dem Tag der offiziellen Eröffnung des Eisstadions. Eishockey war außerhalb Bayerns in Deutschland so gut wie unbekannt – einzige Ausnahme: der Berliner SC, die einzige wirkliche Traditionsmannschaft dieses Sports, 1893 gegründet und ab 1908 mit regulärem Eishockeysportbetrieb. Deshalb trat auch der BSC bei den ersten beiden Hockeypartien auf dem neuen Eis an – gegen Amsterdam. Die DEG griff erst in der Saison 1936/37 ins deutsche Eishockey ein. Aber auch der Eiskunstlauf gehörte zur DEG der frühen Jahre. Und zum Anziehungspunkt der Düsseldorfer Bürger wurde das Stadion durch die regelmäßigen Laufzeiten, während derer jedermann für kleines Geld übers Eis schweben konnte – auch wenn ansonsten kein See oder Weiher in der Stadt zugefroren war.
Das ursprüngliche Eisstadion von 1935 wurde bei einem schweren Bombenangriff der Alliierten in der Nacht vom 3. auf den 4. November 1943, der im Wesentlichen dem Derendorfer Güterbahnhof galt, vollständig zerstört. Es war die Nacht, in der auch der Zoo in Düsseldorf komplett ausgelöscht wurde. Angeblich kam dabei auch der erste Trainer der DEG, der Kanadier Robert „Bobby“ Bell ums Leben. Tatsächlich aber versuchte sich Bell zu den US-Truppen durchzuschlagen. Da er bei seiner Verhaftung keinerlei Papiere bei sich hatte, hielt man ihn für einen Spion und setzten ihn erst in Brüssel, später in Nordfrankreich. Als sich dem Ort seiner Gefangenschaft deutsche Truppen näherten, wurden die dort versammelten, vermeintlichen Spione exekutiert – auch Bobby Bell.
Das neue Eisstadion
Bereits 1946 wurde an der Stelle der alten Eisbahn das neue Eisstadion errichtet. Wie es dazu in Zeiten kam, in denen die Menschen andere Sorgen und der Wohnungsbau Vorrang hatte, ist unklar. Die heutige Eisfläche hat dieselben Maße wie die ursprüngliche von 1935 und befindet sich an exakt derselben Stelle. Die Haupttribüne und der Wall mit den Stehplätzen an der Zooseite sind identisch mit den 1946 errichteten Tribünen. Das Stadion war für 10.500 Zuschauer zugelassen und ist damit bis heute das größte reine Eisstadion Deutschlands.
Kein Wunder, dass Düsseldorf den Zuschlag für die Eishockey-WM 1955 erhielt – weitere Spielorte waren Krefeld, Köln und Dortmund. Legendär das überraschende 8:3 der deutschen Mannschaft gegen die Schweiz am 6. März 1955. Dieses Turnier machte Eishockey im Westen Deutschlands auf einen Schlag populär. Aber nur die DEG, der Kölner EK und der Krefelder EV nahmen als Teams aus den WM-Städten am Spielbetrieb teil.
Bis dahin interessierten sich viel mehr für das Eiskunstkaufen, zumal mit Ria Baran und Paul Falk eines der erfolgreichsten Paare in diesem Sport für die DEG antrat und im Jahr 1952 nicht nur Welt- und Europameister wurde, sondern auch die Goldmedaille bei den Olympischen Winterspielen in Oslo holte. Das Paar stammte übrigens aus Dortmund, fand aber nur an der Brehmstraße geeignete Trainingsbedingungen.
Der beginnende Eishockey-Boom
Die Eishockey-Mannschaften der DEG waren in Nordrhein-Westfalen in den Fünfzigerjahren recht erfolgreich, konnten aber gegen die Teams aus Bayern nicht im Geringsten ankommen. Man könnte sagen: Das sportliche Niveau von Mannschaften wie Füssen, Riessersee und Bad Tölz war um mindestens zwei Ligen höher. Und trotzdem wuchs das Interesse ab etwa 1956 in der Stadt stark an. Bei den Derbys gegen den Krefelder EV und die fast vergessenen Preussen Krefeld war das Eisstadion immer bis auf den letzten Platz gefüllt. Ich erinnere mich an eine Partie, zu der uns der Vater mitnahm; es ging gegen die Preussen und wir hatten Plätze direkt hinter der Bande in der Nordostkurve – ein Erlebnis, das mich zum Eishockey zog.
Bereits 1958 wurde die Eishockey-Bundesliga gegründet, aber die DEG war nicht dabei. Es war der damalige Vorsitzende Hans Ramroth, einer der ganzen wenigen hauptamtlichen „Manager“ im deutschen Eishockey jener Jahre, der die bayerischen Spitzenspieler Sepp Reif und Otto Schneitberger nach Düsseldorf lockte. Beide hatten das Eishockey eigentlich zugunsten der beruflichen Karriere aufgeben wollen, aber Ramroth bot ihnen eine doppelte Perspektive. Bald folgten weitere Bayern, und die DEG wurde Zielscheibe eines gewaltigen Shitstorms aus Bayern. Schneitberger und Trainer Hans Rampf wurden Prügel angedroht, und noch 1967 erhielt die Mannschaft der DEG bei Spielen in Bad Tölz Polizeischutz. Tatsächlich war dieser Coup aber der Startschuss für die Karriere des Eishockeys als Sport der Großstädte.
Jetzt mit Dach
Zur Saison 1965/66 stieg die DEG so in die Bundesliga auf. Auf einen Schlag löste Eishockey an der Brehmstraße massive Hysterie in der Stadt aus; vor allem bei Jugendlichen und bei Altstadtgängern. Natürlich wollte alle das erste Bundesligaspiel der DEG sehen. Mit meinem Bruder stand ich beim Vorverkauf in der Schlange; er bekam die letzte Karte, ich ging leer aus – eine Sache, die ich ihm nie vergessen hatte. Alles was heute in Deutschland bei populären Mannschaftsportarten gang und gäbe ist, wurde vermutlich zwischen 1965 und 1969 im Eisstadion an der Brehmstraße erfunden – Pyro inklusive. Wenn die DEG spielte, standen mein Bruder und ich oft auf der Ostterrasse unserer Wohnung im fünften Stock eines Hauses an der Tussmannstraße und lauschten auf die Anfeuerungschöre, die aus dem kaum anderthalb Kilometer entfernten Tempel herüberschallten. Tore für die DEG konnten wir mitzählen, denn bei jedem Treffer wurden Dutzende Feuerwerksraketen abgefeuert.
Von den Schweden hatten sich die Fans das „Heja, heja, DEG“ abgeschaut, von den Bayern das Läuten mit Kuhglocken. Aktuelle Popsongs wurden ab etwa 1966 umgedichtet und von Tausenden von DEG-Anhängern gesungen. So entstand das „Na na na na, hey, hey, hey, D-E-G“, das auf einem Hit der Band „Steam“ von 1969 beruht. Auch Volks- und Weihnachtslieder wurden verwurstet: „Kling, Glöckchen, klinge-linge-ling, DEG wird Meister, Riessersee nur Zweiter, DEG wird Sieger, alle Jahre wieder“. Mit dem Mithören war dann ab dem Winter 1969/70 Essig. Man hatte das Stadion überdacht und die Nordtribüne errichtet. Wegen damals ungewöhnlicher Sicherheitsauflagen fasste der Eistempel an der Brehmstraße trotz der zusätzlichen Stehplätze nicht mehr als 10.500 Zuschauer.
Rockmusik und Tennis
Weil das Eisstadion eben nicht nur für Training und Wettkämpfe vorgesehen war, sondern in Form der öffentlichen Laufzeiten auch Ort des Breitensports war, fand dort nur ein einziges Mal ein Rockfestival statt. Das hieß „Joint-Meeting„, fand im Mai 1970 statt und wurde von einer Handvoll Söhne reicher Eltern organisiert. An drei Tagen spielte in Düsseldorf alles auf, was damals in der Rockszene Rang und Namen hatte: Rory Gallaghers Taste, Colosseum, Arthur Brown, Black Sabbath, The Move, Status Quo, Chicken Shack, Fleetwood Mac und und und. Wobei: Welche Bands wirklich aufgetreten sind und welche bloß angekündigt waren, lässt sich im Nachhinein kaum auseinanderhalten, zumal das Stadion an diesem Wochenende unter einer fetten Graswolke lag, die auch die Sinne derjenigen beeinträchtigten, die nicht kifften.
Und obwohl das Dach schon drauf war, spielte manche Truppe so laut, dass ihre Musik im Umkreis von drei, vier Kilometern zu hören war. Wenn ich mich nicht irre, gab es sonst über die Jahre nur eine eis-fremde Veranstaltung. Wenn das Tennis-Turnier am Rochusclub, das zum World Team Cup mutierte, völlig verregnet war, verlegte man einzelne Partien unter das Dach auf die im Sommer eisfreie Betonfläche im Stadion.
Hand in Hand, erst Laufen, dann Pommes, dann Knutschen
In den frühen Sechzigerjahren hatte man dem Eisstadion eine zweite Eisbahn nördlich des Stadions spendiert. Die hatte weder Dach, noch Tribünen, sondern war an zwei Seiten durch Gitter vom Zoopark abgetrennt. Natürlich gab es hier nur im Winter Eis, aber gerade bei den Spätlaufzeiten war diese Fläche bei Jugendlichen enorm beliebt. Wie ja die Eislaufzeiten im Winter damals und über einige Jahrzehnte wichtige Treffpunkte pubertierender Leute waren. Wir gingen die Tussmannstraße runter, überquerten auf der Jülicher Brücke die Gleise des Güterbahnhofs, schwenkten auf die Kühlwetterstraße und mussten dann nur noch über die Brehmstraße. Laufzeitkarten gab es unter der Haupttribüne oder am Automaten draußen. Wer eigene Schlittschuhe hatte, ging gleich in die Umkleide. Die anderen holten sich Leihschuhe beim (Eissport) Kasper. Dann zog man sich die Schlittschuhe an und ging aufs Eis.
Gelaufen wurde gegen den Uhrzeigersinn; der Eismeister achtete auf ordentliches Verhalten. Während die Unsicheren langsam ihre Kreise zogen rasten die Experten kreuz und quer über die Eisfläche bremsten scharf und bestäubten so andere Läufer mit Schnee. Natürlich lief man auch rückwärts, bremste per Kanadierbogen und bekam beim „Übersetzen“ in den Kurven ordentlich Geschwindigkeit drauf. Das aber brachten nur wir Jungs. Man musste sich ja zeigen, weil Dutzende hübscher Mädchen an der Band standen und zuschauten. Die klassische Anmache verlief so: Man fuhr die Dame der Wahl an, fragte „Willst du mit mir laufen?“, nahm die Zielperson nach ihrer Zustimmung an die Hand und drehte mit ihr ein paar sanfte Runden, in denen man das Gespräch auf Dieses oder Jenes bringen konnte. Dann verließ man mit ihr die Eisfläche und spendierte ihr eine Portion Pommes vom Kreutzer mit oder ohne Cola. War man sich sympathisch, verzog man sich anschließend auf die Bänke ganz, ganz hinten an der Außeneisbahn, wo es dunkel war und man in Ruhe knutschen konnte. Nur verliebte Pärchen nutzten diesen Ort. Man war unter sich, und einige längerfristige Beziehungen sind dort und auf diese Weise entstanden.
Nostalgischer Charme
Die Eisbahn unter freiem Himmel ist längst einer öffentlich nicht zugänglichen Trainingshalle gewichen. Die DEG musste 2006 unter fadenscheinigen Begründungen und gegen den Willen der Fans in den ungemütlichen Dome in Rath umziehen. An der Brehmstraße ist seitdem nichts mehr los. Falsch: Alles, was seit den frühen Sechzigerjahren im Eisstadion routinemäßig ablief, gibt es noch immer, und am Stadion selbst hat sich seit über zehn Jahren nichts mehr geändert. Ja, der Verfall ist sichtbar, aber der Tempel an der Brehmstraße hat so einen berückenden Charme.
Immer noch kann jeder selbst die Schlittschuhe schnüren und aufs heilige Eis gehen. Immer noch stehen die Tore tagsüber meist offen, und man kann unbehelligt hineingehen und zum Beispiel beim Training der DEG-Bambini zuschauen. Auch Eissport Kasper (dazu demnächst mehr) gibt es immer noch. Immer noch kann man sich dort Schuhe leihen oder die Kufen der eigenen Schlittschuhe sachgerecht schleifen lassen. Nur den Kreutzer gibt’s nicht mehr. Dabei gehörte diese Dynastie einst zur Lokalprominenz, auch weil man alle gastronomischen Einrichtungen am Stadion betrieb. Neben einem Restaurant mit hohem Anspruch eine gemütliche Kneipe sowie zwei Pommesbuden und die Bierstände der Haupttribüne. Heute sind die Söhne Christof (Trainer) und Danny (Kapitän) die bekanntesten Nachkommen und quasi die Gesichter der DEG dieser Jahre.
Wer also Spaß am Eislaufen hat, der sollte sich einmal auf den Weg an die Brehmstraße machen, beim Kasper Schuhe leihen und dann auf die heilige Eisfläche im vielleicht berühmtesten Eisstadion Deutschland gehen.
[Fotos: Markus Luigs (ML), Rainer Bartel (RB) und Stadtarchiv Düsseldorf]
2 Kommentare
„Man fuhr die Dame der Wahl an, fragte „Willst du mit mir laufen?“, nahm die Zielperson nach ihrer Zustimmung an die Hand und drehte mit ihr ein paar sanfte Runden …. .“
…….. und dazu legte während der Abendlaufzeiten schon in den 60ern ein Discjockey die neuesten Scheiben auf.
Ja, genau. Wobei die Qualität der aufgelegten Musik über die Jahrzehnte doch sehr schwankte. Den Typen, der in den 80ern den DJ mimte, habe ich gehasst: Immer nur Ballermann…