Dienstags ist Ambulanz: Düsseldorfer Künstler diskutieren im Malkasten Wege der Kommunikation in der Pandemie – Inge Hufschlag berichtet:

Bericht · „Ambulanz“ ist immer dienstags im Malkasten. Dann streift sich Susanne Ristow einen Kittel über, und wird zu „Doc Su“. Da werden dann mehr oder weniger auffällige Symptome in der Welt der Kunst und der Künstler diagnostiziert, behandelt, und anschließend diskutiert – auf dem Podium und mit dem Publikum. Da, wo sonst in einer Praxis vielleicht ein Skelett postiert ist, steht im Malkasten still ein kopfloser Jüngling. Aus Bronze. Susanne Ristow hat ihn aus dem Fundus geholt als Symbolfigur für das Thema des Abends: „Kommunikation in der Pandemie“. [Lesezeit ca. 4 min]

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Der Bronze-Boy wurde irgendwann irgendwo an der Adria ausgebuddelt, seine Geburtsstätte in Eleusis vermutet, einem Vorort von Athen, etwa Mitte des 16. Jahrhunderts. Zu seinen Füßen ein herkömmliches Warnschild. „Kultur ist ansteckend“, meint Kunstvermittlerin Susanne Ristow augenzwinkernd nicht nur mit Blick auf die Pandemie. Sie selbst hat dazu ein Buch geschrieben: „Kulturvirologie – Das Prinzip Virus von Moderne bis Digital-Ära“.

Nur der Hüftschwung des Bronze-Boys entspreche nicht so ganz dem altgriechichen Schönheitsideal, zweifelt Ristow, die auch zum aus Vorstand des Künstlervereins Malkasten gehört und den Abend moderiert, der sich der Online-Kommunikation im künstlerischen und medialen Kontext widmet. Er gehört zu einem Dialogformat, das sie ins Leben gerufen hat, um die Kommunikation zwischen Künstlern und Besuchern zu stärken. „Ich persönlich finde es schwer, über Kunstwerke zu reden, wenn keine Menschen dabei sind“, sagt sie von sich.

"Säule der Kurzweil" nennt Christoph Westermeier sein Symbolfoto, das musterhaft geöffnete Dateien zeigt.

„Säule der Kurzweil“ nennt Christoph Westermeier sein Symbolfoto, das musterhaft geöffnete Dateien zeigt.
(Foto: Christoph Westermeier)

Schlüsselbild der Einladung ist ein Foto des Podiumsteilnehmers Christoph Westermeier. Es zeigt auf den ersten Blick einen dunklen Bildschirm, auf den zweiten Blick erkennt man ein Muster aus zahllosen geöffneten Dateien, der dritte Blick entlarvt jede Menge Staubkörner auf der Oberfläche. Sieht düster aus. Für den Fotografen und Performer Weistermeier, der in Düsseldorf und Wuppertal lehrt, ein Rhythmus aus Dateien, „die wir alle digital in die Cloud schicken und dann vergessen, sie zu materialisieren.“

Birgit Gosejacob, die Dritte auf dem Podium, Moderatorin der Zukunftswerkstatt 2021, die sich selbst als „Ermöglicherin“, „Geburtshelferin für neue Ideen und Entwicklungen“ oder „Learning Designerin“ bezeichnet und Firmen auf dem Weg in die digitale Kommunikation berät und begleitet, ist voll überzeugt, dass Online-Kommunikation Pandemie geschuldetes Provisorium ist. Und das habe eigentlich nur Vorteile: „Es fallen Schranken weg, lange Wege.“ Mehr noch: „Keine langen Reden, mehr Dialog, mehr Gespräch. Da klinkt sich nicht mehr einer frühzeitig aus, weil sein Flieger geht. Man erreicht einfach viel mehr Menschen als zuvor.“

Ideal sei Online-Kommunikation beispielsweise für Basis-Kurse: „Die kann man super aufzeichnen, und jeder kann sie abrufen, wann er will, auch nachts“. – „Aber Du freust Dich doch auch, heute hier persönlich bei uns zu sein und ein Glas Wein mit uns zu trinken?“, gab Susanne Ristow zu bedenken. „Klar,“ gibt Gosjacob zu und erzählt von einer anderen Erfahrung, bevor sie vor zwei Jahren aus dem Rheinland nach Ostfriesland zog: „Ich war ein Fan der Netzwerk-Veranstaltung ‚Düsseldorf In‘. Meist hab ich mich dabei an einem Stehtisch festgequatscht. Das kann mir bei einem Zoom-Meeting nicht mehr passieren. Da bleibe ich intensiv in Kontakt mit allen.“

Das durchweg ältere und kunstaffine Publikum im Malkasten erscheint fast übereinstimmend angetan von der neuen Technik. „Ich mach es andauernd. Ich liebe es“, meint eine Dame. Und: „Ich hätte nie gedacht, dass man sich online näher kommen kann.“

Der kopflose Bronzejümglig aus dem Malkasten-Fundus (Foto: I. Hufschlag für TD)

Der kopflose Bronzejümglig aus dem Malkasten-Fundus (Foto: I. Hufschlag für TD)

Fotograf Westermeier, nach seiner Einstellung zu Online-Dialogen befragt, sagt für sich nüchtern: „Manchmal liebe ich es, manchmal find ich es doof, manchmal nehme ich es einfach hin.“ Er fragt sich aber auch, ob Empathie und Emotion dabei vielleicht auf der Strecke bleiben könnten: „Wenn ich irgendetwas sage, was eine Person verletzen könnte, das merke ich das womöglich gar nicht?“ Gosejacobs Rezept dagegen: „Online noch genauer hingucken, so viel Augenkontakt wie möglich halten. Und: Immer wieder nachfragen.“

Zur Frage der Distanz meint sie fröhlich: „Da steckt Tanz drin, eine neue Freiheit. Das kann richtig Spaß machen.“ Da reißt es eine der anwesenden Künstlerinnen vom Stuhl. Sie tanzt durch den Raum und erklärt: „Durch das Zoom-Format habe ich ein ganz neues Selbstverständnis gewonnen. Was mir besonders gefällt, dass ich mich immer sehe, wie in einem Spiegel. Wenn ich hier mit euch spreche, sehe ich euch doch gar nicht. Aber vielleicht bin ich ja nur ultranarzisstisch gestört.“

Und dann gibt es ja auch Hybrid-Veranstaltungen, digital mit Publikum. Ein Kompromiss? „Funktioniert nicht“, ist sich Gosejacop sicher: „Ich kann nicht beiden Gruppen gerecht werden. Die Gruppen kommen nicht zusammen. Es braucht jeder ein Gesicht, es braucht Jeder eine Stimme.“ Und dabei haben jeder und jede die gleiche Chance. Da sind sich Podium und Publikum einig: Online-Kommunikation ist eine große Chance für die Schüchternen. Jeder hat eine gleich große Kachel zur Selbstdarstellung zur Verfügung. Und die vermeintliche Rampensau eine genauso kleine.

Am Ende ist Moderatorin Susanne Ristow überzeugt: „Die Pandemie wirkt wie ein Booster auf unser Kommunikationsverhalten.“ Danach zieht das Künstlervölkchen noch fröhlich ins Restaurant Lido des Malkastens auf einen Happen und ein Glas Wein zurück. Fazit: anregende Face-to-Face-Kommunikation.

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