Es scheint, dass den Menschen in Corona-Zeiten eine große Stütze ist. Weil so viel Zeit da ist, wird auch viel mehr Musik gehört als sonst. Und weil auch mehr Zeit da ist, um nachzudenken, fällt einem beim Hören von Musik nicht selten ein, wann und unter welchen Umständen man mit dem jeweiligen Album in Berührung kam. Ein Meister darin, Mucke mit Erinnerungen zu verknüpfen, ist unser DJ Opa, der sich weiter durch seinen Plattenschatz hört und allerlei Dönekes zu erzählen hat.
Die Toten Hosen: „Unter falscher Flagge“ – das beste deutsche Glampunk-Album
Ein guter Freund, übrigens ein Hosenhasser, sagt mal bei einer geselligen Runde vor ca. 15 Jahren einen sehr seltsamen Satz: „Eines der besten deutschen Glampunk-Alben ist die ‚Unter falsche Flagge‘ von den Hosen!“ Er sagte dies so eindeutig und selbstbewusst, dass keiner in der Runde auch nur ansatzweise Zweifel äußerte. Wir hatten gerade eigentlich über die ersten Platten von Pink Floyd gesprochen und hätten uns auch über Kochrezepte austauschen können, aber… hey, da passte das sicher trotzdem ganz gut. Irgendwie. Und auch wenn nicht, immerhin erinnere ich mich daran, als ich das Cover in den Händen halte. Was gab es damals ein Theater deswegen… ein skelettierter Köter vor einem Grammophon, der das EMI-Logo verulkt. Schön, dass es später mal ein Foto von Campino gab, der hockend vor einem alten Plattenabspielgerät saß. Ist Campi auch verklagt worden?Aber als die Scheibe anläuft, verstehe ich, was mein Kumpel damals meinte. Sägende Gitarren, viel Hall beim Gesang und den polternden Drums, halt sehr nah am Glamrock. Damit meine ich aber eher die Produktion als die Songs. Die Hitdichte war schon enorm und viele Klassiker dieses Albums finden heute noch ab und ihren Weg in die Setlisten der Hosen. „Liebesspieler“, „Abt von Andechs“, „Shake hands“, „Sekt oder Selters“ oder „Warten nur dich“. Wobei letzteres eh nie meine Nummer war. Ich habe weder Streber gequält, noch musste ich vor irgendwelchen Leuten aus der Schule Angst haben. Gott sei Dank. Mobbing ist nämlich scheiße. Immer und überall. Egal, in welchem Alter. Aber… ja, das war schon ein verdammt gutes Album, Meine Favoriten: Im Hafen ist Endstation und Betrunken im Dienst.
Und mir fällt natürlich das Konzert 1985 in der Uni-Mensa ein. Es war vor Beginn schon proppevoll und ein Gedränge, wie ich es bis dahin nur bei King Kurt und Adicts/Hosen erlebt hatte. Irgendein Arsch zockte mir da mein Ticket, aber… ich hatte ja noch meinen Chelsea-Fanclub-Ausweis. Und da zufällig Bollock an der Tür vorbeischaute, war dieser Ausweis Grund genug, dass ich rein durfte. Drinnen sah es aus wie in Berlin im April 1945. Was abzureißen war, war abgerissen. Toiletten gab es nicht mehr. Genauso wenig wie Waschbecken, Spiegel, Bänke etc.Als ich dann mit Edding meinen Namen an Wände schrieb, kam erneut Bollock vorbei und brüllte mich komplett an, dass dies ja wohl kein Punkrock sei. „So klein schreiben nur Loser ihren Namen an Wände!!“ Ein Grund, warum man dann meinen Namen in ganz Düsseldorf in wirklich GROSSEN Buchstaben lesen konnte.
Es fingen gerade Cocks in stained satin an, als ich reinkam… was für eine mega Band. Sänger Hebe war schon ein, im wahrsten Sinne des Wortes, sehr dicker Sympath, aber diese Band war wirklich einfach nur klasse. Hammer. Und die waren wirklich irgendwie Glampunk. Oder so. Oder so ähnlich. Die Hosen starteten dann total durch, das Gaspedal durchgehend durchgetreten. Die Polizei war wohl auch mal da, denn zwischendurch hatte ich die Mütze eines solchen Wachtmeisters auf, die ich dann aber gegen Bier eingetauscht habe. Es war wirklich ein tolles Konzert.
Kurz vor der LP erschien die Single „Liebesspieler“. Auf der Maxi war auch eine „John Peel Session“. Aber irgendwie klingen die Jungs darauf unheimlich brav. Doch vielleicht ist das so, wenn man für jemanden wie John Peel etwas aufnehmen darf. Außer „Hofgarten“, da geben die Jungs dann Vollgas. Na ja, immerhin konnte weder die DJ-Legende noch ein anderer Engländer den simplem Text über Rasensport verstehen, Schade, dass die Opelgang davon keine englische Übersetzung gemacht hat.
Franky Goes To Hollywood: „Welcome To The Pleasuredome“ – Meilenstein des Pop
Oha, Franky goes toe Hollywoods „Pleasuredome“… Kein Punkrock, sondern ein Meilenstein des Pop. Eine Doppel-LP. Also, dafür werde ich mir ein bisschen Zeit nehmen müssen. Ich habe die Platte von meinem Bruder Peter im Herbst 1984 geschenkt bekommen, als sie gerade erschienen war. Obwohl ich zu der Zeit durch und durch im Punkwahn war, fand ich die beiden Singles „Relax“ und „Two tribes“ schon ziemlich stark. Für Popmusik relativ hart und für Punk ein bisschen zu poppig. Die Band startete damals sofort durch und war auch reich an Skandalen, spielte sie doch in ihren Videos auf Sex und Homosexualität an. Aber so war das in den 80ern. Und oft hatte diese Masche auch Erfolg. Madonna, zum Beispiel, wäre mit ihrem dünnen Stimmchen niemals ein Weltstar geworden, wenn sie zu Beginn ihrer Karriere nicht die Karte „Sex and scandals“ ausgespielt hätte. Und auch die Ärzte beherrschten diese Klaviatur bestens.An den Song „Two tribes“ habe ich auch noch eine herrliche Erinnerung. Irgendwann platzten wir mit der „Die Wiese“ [meine damalige Punkergang, die sich nach einer Grünfläche im Nordpark benannt hatte. Verglichen mit „Wanderers“ oder „Zoopark-Kids“ ein relativ mauer Gang-Name, aber dafür durch zahlreiche Schriftzüge in ganz Düsseldorf immerhin mit einem relativ hohen Bekanntheitsgrad. Wobei wir eher die kleinen Strolche des Punkrocks waren. Anm. des Verfassers] mal wieder uneingeladen auf eine Party, die irgendeiner aufgetan hatte. Manchmal konnten einem diese „Gastgeber“ wirklich leid tun. Da wollten die einfach mal mit Freunden an ihrem Geburtstag ein bisschen, nur ein klitzekleines bisschen die Sau rauslassen und dann trampelte direkt eine Horde Wildschweine durchs Buffet. Wie auch immer.
Wir waren irgendwie in den Partykeller reingekommen (meist erhielt einer auf die Feier Einlass und öffnete dann irgendeine Hintertür oder ein Fenster, um den Rest kommen zu lassen) und versorgten uns mit Getränken. Da Punkrock als Musik nicht zu erwarten war, nahmen wir halt“Two tribes“ von FGTH, um zu pogen. Und irgendwie segelte einer von uns (ich meine immer noch, es wäre der Prince gewesen) in ein Regal voller Zierteller. Peng, krach, schepper und schon waren die Tellerchen und das Regal hin. Leider waren solche Geräusche meist das Startsignal, dass noch mehr kaputt ging. Zwei von uns tanzten ausgelassen auf dem Buffettisch, der dann auch noch brach und beide mit dem gesamten Essen nach hinten kippen ließ. Natürlich ging sofort die Musik aus, es war von der Polizei die Rede, und daher zogen wir den Rückzug vor. Natürlich mit genügend Bier im Gepäck, um den Abend zu überstehen. Zurück ließen wir eine ratlose und leicht geschockte Partygesellschaft und einen Raum, der an Ägypten nach dem Einfall der Heuschreckenplage erinnerte. Im Nachhinein zwar eine lustige Erinnerung, aber vielleicht auch keine Sternstunde von uns. Aber so etwas konnte dann eben zur Musik von Franky Goes To Hollywood passieren.
Übrigens, die Doppel-LP hat auch viele andere Höhepunkte. Zum Beispiel „Welcome to the pleasuredome“, Ein Song, den ich heute noch ziemlich spannend finde. Komisch, dass so ein Klassiker der Popmusik vollkommen in Vergessenheit geraten ist. Sehr fett produziert, viel Abwechslung, teilweise sehr politische, aber auch witzige Texte und schöne Melodien. Ganz ehrlich, wer 80er-Jahre-Musik mal anders hören möchte, ist mit diesem Album bestens bedient. Zum Ausklang kommt dann noch „Power of love“, das neben Whams „Last christmas“ auch jedes Jahr zum Feste zu nerven weiß. Aber deswegen hänge ich jetzt kein Lametta auf, sondern schaue mal, was ich als nächstes höre.
Johnny Thunders: „Live at the Speakeasy“ – Hauptsache überlebt
„Solange Johnny Thunders lebt, solange bleib´ ich ein Punk“ (Wort zum Sonntag/Die Toten Hosen). Gott, habe ich es gehasst, wenn irgendwelche Prolls oder Spießer mit keck gefärbten Strähnchen diese Zeilen auf einem Hosenkonzert gesungen haben. Keine Ahnung von Johnny Thunders, aber La Paloma pfeifen. Für mich war Johnny Thunders ein echter Gitarrengott. Er brachte Glamrock und Punkrock wirklich genial zusammen. Das erste Mal habe ich Johnny Ende 1984 in der Philippshalle gesehen. Es gab dort eine Aufzeichnung für die glorreiche Sendung „Musik Convoy“ vom WDR. Unter anderem moderierten da Alan Bangs und Xao Seffcheque, letzterer Österreicher, assimilierter Düsseldorfer, Gitarrist bei Family 5, Hofgänger und absoluter Fortuna-Fan. Noch heute genieße ich Gespräche mit ihm über den Club aus Flingern. Im „Musik Convoy“ traten immer wieder Bands auf, die wirklich weit von jedem Mainstream waren. Zum Beispiel King Kurt, deren Farb- und Mehlschlacht bei einer Aufzeichnung für ein gehöriges Oho und viel Theater sorgten. Ich habe Johnny Thunders-Konzerte eigentlich immer angeschaut, wenn er in der Nähe spielte. Leider war ein ein ziemlicher Junkie, weshalb es auch Abende gab, die eher bitter waren. Aber der Gig 1988 im Tor 3 war eine Granate. Davon gibt es übrigens bei Youtube eine Aufnahme. Absolut empfehlenswert!Und natürlich zwei Jahre später das letzte Konzert von Johnny Thunders & the Heatbreakers in New York. Johnny saß vorm Konzert backstage wie ein Häuflein Elend in der Ecke und ich dachte nur: „Hilfe, der Mann gehört in ein Krankenhaus, nicht auf eine Bühne!“ Als er dann aber seine Gitarre in die Hand bekam, reagierte er wie ein Ducracell-Häschen. Voll unter Strom. Und dann sah ich im ausverkauften Marquee eine unglaublich geile Show. Sogar deutlich besser als das Livealbum, das damals ständig auf meinem Plattenspieler seine Runden drehte. Wahnsinn. An dem Abend lernte ich einen bekloppten Engländer kennen, der kurz zuvor einen Motorrradunfall hatte und mir die gesamte Nacht meine Drinks bezahlte. Er lud mich dann auch zu seiner Party ein paar Tage später ein, die über mehrere Tage ging, von denen ich aber nur zwei Tage schaffte. Als ich diese Feier verließ schloss ich mich in einem billigen Hotel am Tompkins Square-Par ein und schlief nahezu zwei Tage durch. Übrigens war dieser durchgeknallte Engländer kein anderer als Billy Idol.
Zurück zu Johnny Thunders. Er starb nur wenige Monate nach dem Gig und einer Zusammenarbeit mit den Toten Hosen. Ein trauriges Ende für einen tollen Musiker, der noch heute von vielen jungen Musikern als musikalisches Vorbild genommen wird. Für mich bleibt die L.A.M.F auch heute noch ein großartiges Livealbum. Und mir hat es immer Spaß gemacht, mit dem Cashbar Club „Born to lose“ zu spielen. Vielleicht weil ich auch nie so der große Gewinner war? Wer weiß das schon.
Ein Kommentar
Wollte mich an dieser Stelle mal bedanken für die interessanten Berichte aus der Musik- Scene. Ich selber höre gerne amerikanischen Punk. Ich liebe den Sampler „This is Boston not LA“. Außerdem habe ich die Gruppe „Gun Club“ mal im Tor 3 gesehen. Ich mag aber auch „Wipers“ und die „Misfits“.
Aber deine Tipps sind auch sehr interessant, hatte bisher aber noch wenig Zeit mal speziell reinzuhören weil mein Partnerin vermehrt zu Hause ist (wegen Corona).
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