Das New Fall Festival 2016 in dieser, unserer schönsten Stadt hat ohne großes Tamtam in einem Hinterhof begonnen: Auf der Gladbacher Straße, wo ich bisher nur das Martinus-Krankenhaus, die alteingesessene Pizzeria Novita und den Vietnamesen Wokboy verortete, deutete nur ein auf dem Gehweg aufgestelltes Störer-Schild auf den ziemlich dunklen Weg durch eine Einfahrt zur Konzert-Location Sipgate. Sipgate ist ein IP-Telefonieanbieter, der einer der Sponsoren des New Fall Festivals ist. Die Firma beschäftigt 120 Menschen und bewohnt hier seit einigen Jahren ein von Außen eher bescheiden wirkendes Hinterhof-Gebäude, dessen Innenleben sich allerdings als ziemlich cool erweist: Geräumige Büros, Holzboden, kuschelige Ledersofas, Kühlschränke mit Getränken. Eher Kreuzberg-Charme als Düsseldorf-Schickimicki. „Boah, so würde ich auch gerne arbeiten!“ höre ich von mehren Besuchern. Kann man verstehen. Wobei ich nicht glaube, dass es hier tagtäglich Freibier für alle gibt, so wie am Konzertabend.
Da Sipgate über eine derart gemütliche Kantine verfügt, dass diese glatt als Club durchgeht, war es naheliegend, hier eines der diesjährigen Festival-Konzerte stattfinden zu lassen. Gesagt, getan: Punkt 20 Uhr mischte sich Jeanne Louise Galice unters Publikum, um ohne Eile die Bühne zu erreichen. Das kann man machen, wenn man noch nicht ganz so berühmt ist wie Mick Jagger oder Lady Gaga. Frau Galice, die unter dem Künstlernamen Jain (ausgesprochen wie „Jane“) unterwegs ist, hätte wahrscheinlich auch Purzelbäume schlagen können und kaum jemand hätte sie erkannt. Ich frage mich insgeheim, ob diese zierliche Person hier den Saal rocken kann.
Kurze Unterbrechung
Und dann das: Kaum steht die Frau auf der Bühne vor dem Publikum, verwandelt sich Jain in das, was man gemeinhin als Rampensau bezeichnet. Mit kräftiger Stimme begrüßt sie das Publikum und schon geht’s los mit dem ersten Song. Kleiner Fauxpas: Direkt danach überlegt sie erst, einen Witz zu erzählen, um dann die Bühne erst mal wieder zu verlassen. Das Problem: Ein Rechner hat sich aufgehängt und muss re-booten – sonst nix Konzert! Ein paar Minuten später geht es dann aber weiter. Stürmischer Applaus, Jain rockt den Saal so mühelos, dass einem Angst und Bange wird, sollte diese Frau in ein paar Jahren womöglich Hallen von der Größenordnung eines ISS Dome füllen.
Den ersten Jain-Song habe ich vor ungefähr einem Jahr auf dem sehr empfehlenswerten Radiosender Funkhaus Europa gehört und die gutgelaunte Mucke ging mir sofort nicht mehr aus dem Kopf. Inzwischen laufen Songs wie „Makeba“ und natürlich „Come“ auf vielen Radiosendern rauf und runter. In Frankreich hat sie im vergangenen Jahr mit „Come“ Platz 1 der Charts erreicht und ihr bislang einziges Album „Zanaka“ kletterte dort auf Platz 6, in Belgien auf Platz 4.
Nichts für Schwermetaller
Ihre Stimme klingt für mich wie eine Mischung aus Amy Winehouse (leicht rauchig) und ESC-Lena (leicht knödelig), wobei Jain musikalisch einen ganz eigenen Stil schafft. Ihr Pop ist nicht glattgebügelt, sondern enthält vor allem afrikanische und arabische Stilelemente. Manche Songs wie „Lil Mama“ sind reggaelastig, sehr smooth. Das Attribut „World-Music“ trifft es dennoch auch nicht so ganz, denn Electronic kommt auch drin vor. Ach, einfach anhören! Ihr komplettes Debüt-Album kann man wirklich von vorne bis hinten genießen, es gibt kein langweiliges Stück. Vorausgesetzt, man hält nicht alles für Weichei-Kram, was softer ist als Motörhead oder Black Sabbath.
Spätestes ab dem zweiten Song fliegt bei Sipgate jedenfalls richtig die Kuh. Vor der Bühne wird kräftig abgezappelt. Macht Spaß! Noch bessere Stimmung habe ich bisher nur bei Manu Chao erlebt. Die Kühlschränke mit dem Freibier sorgen natürlich auch für gute Laune. Nur weiter hinten stehen ein paar Knallchargen, die so lautstark (weil: vorne wird ja laut gesungen) über die morgige Präsi oder Rot-Weiß Essen quatschen, dass das den zahlenden Festivalbesuchern und der Künstlerin gegenüber echt ganz schön ignorant ist.
Es gab übrigens Freibier
Jain jedenfalls gibt alles, verwandelt einige ihrer Songs in Maxi-Maxi-Versionen und schafft es problemlos, dass die Fans entweder mitsingen, klatschen, hüpfen oder sich allesamt auf den Boden setzen und dann aufspringen. Nein, kein Kindergarten, sondern einfach Gute-Laune-Musik. Nach kaum mehr als einer Stunde Konzert vom Feinsten ist dann allerdings Schluss, Zugabe gibbet auch nich. Für 25 Euro Eintrittspreis zum New-Fall-Auftakt also viel Qualität, aber nicht unbedingt Quantität (…okay, erwähnte ich schon das Freibier?). Kurz und gut: Man kann das recht frühe Gig-Ende der Frau Jain nicht wirklich verübeln, denn sämtliche Songs aus ihrem ersten Album und mindestens zwei weitere Lieder hat sie erstklassig gebracht – und mehr eigene Stücke gibt es halt noch nicht. Ich freue mich jedenfalls schon auf das nächste Album – und auf weitere, tolle New Fall-Konzerte!