Das arme Heerdt hat es auch nicht immer leicht. Lange bevor sich der Herr Lueg und seine Geschäftsfreunde die Rheinbahn ausdachten und dazu einen neuen Stadtteil erfanden, war alles zwischen Neuss und Büderich irgendwie Heerdt. Erst in Gestalt eines Kirchspiels, dann als Landgemeinde und zwischendurch als napoleonische Mairie. Der Ort selbst, ungefähr da gelegen, wo heute der Erftkanal in den Rhein mündet, hatte eine Kirche und ein Gasthaus. Der Rest waren Bauernhöfe. Und die Heerdter Bauern, so sagt man, waren ziemlich wohlhabend, weil sie eben sehr große Ackerflächen besaßen.

Manche von denen wurden dann um die Wende zwischen dem 19. und 20. Jahrhundert sogar sehr reich – denn sie verkauften Ländereien an das Konsortium der Unternehmer Heinrich Lueg, Franz Haniel, August Bagel und Friedrich Vohwinkel. Die hatten 1895 gemeinsam den Plan aufgestellt, eine feste Brücke zwischen Düsseldorf und den angrenzenden linksrheinischen Gefilden zu bauen, eine Bahnstrecke nach Krefeld einzurichten und einen neuen Stadtteil entstehen zu lassen. So kam es zu dem, was wir heute Oberkassel nennen. Und Heerdt war dann ab etwa 1910 ganz schön abgehängt.

Ein neues Viertel für die Brücke

Die Lage der Oberkasseler Brücke war durch verschiedene Faktoren vorgegeben. Sie sollte a) an einer möglichst schmalen Stelle des Rheins, b) rechtwinklig zu den Ufern und c) ohne größere Eingriffe in die Struktur der Altstadt gebaut werden. Beim Planen von Oberkassel hatten die Herren dagegen freie Hand, weil es dort zuvor keine Wohnbebauung gab. Nur eine Sache hatten sie zu berücksichtigen. Rund 1.200 Meter landeinwärts gab es seit alters her die Kreuzung etlicher Landstraße, Wege und Pfade, deren Verlauf man nicht nach Gusto ändern konnte. Diese Kreuzung gibt es heute noch; sie heißt Belsenplatz.

Übrigens: Diese Kreuzung mit ihrer hochkomplexen Verkehrsführung ist nicht nach irgendeinem Herrn Belsen benannt. Die Bezeichnung geht auf den vermutlich uralten Namen für diese Ecke zurück. Dort hat es über Jahrhunderte ein Heerdter Flurstück namens „In den Belsen“ gegeben, was auf ein Pappelwäldchen an dieser Stelle schließen lässt, denn Belsen sind im niederrheinischen Sprachgebrauch Bäume dieser Art. Jedenfalls wurde die Wegkreuzung in den Belsen zum westlichen Ende Oberkassels erklärt und damit zum Standort des Fernbahnhofs. Gleich dahinter legte die gerade gegründete Rheinbahn ihren Betriebshof samt Verwaltungsgebäude ein.

Interessante Straßennamen

Interessant sind auch die Namen der Straßen, die sich am Belsenplatz kreuzen. Gut, die Luegallee wurde nach dem Herrn Lueg benannt, die Belsenstraße nach dem Flurstück und die völlig neu angelegte Hansaallee zu Ehren der alten Handelskoalition der Hanse. Am ehesten deutlich wird es bei der Lanker Straße, die einst die Landstraße zur rund neun Kilometer entfernten Landgemeinde Lank war. Die Quirinstraße weist darauf hin, dass die Heerdter Kirche samt einiger Kapellen von Neuss und dem dortigen Quirinus-Münster verwaltet wurden. Beim Greifweg, der parallel zur Hansallee, aber auf der südlichen Seite des Güterbahnhofs verläuft, ist die Namensgebung unklar. Wie damals üblich, gab man den neuen Straßen gern patriotische Namen – so soll die Sonderburgstraße an die Eroberung der gleichnamigen dänischen Stadt anno 1864 durch die Preußen erinnern.

Wie gesagt: Seit es ihn gibt, also seit 1909 glänzt der Belsenplatz durch eine komplexe Verkehrsführung. Chef am Platz war der Bahnhof, der 1898 als Ersatz für die alte Rheinstation unmittelbar am Deich erbaut wurde. Auch wenn der nur bis 1902 (und nach dem zweiten Weltkrieg noch einmal für ein paar Jahre) für den Personenverkehr genutzt wurde, stellte er den Mittelpunkt dar. Der Belsenplatz war nicht mehr und nicht weniger als der zugehörige Bahnhofsvorplatz. Am Rande: Die neu angelegte Straße Richtung Heerdt hieß bis zur Eingemeindung „Bahnstraße“, musste also umbenannt werden, weil Düsseldorf schon eine Bahnstraße hatte.

Typisch Oberkassel

Als erstes legten die Oberkassel-Entwickler ein Netz von Straßen an, ungewöhnlich, dass sie sich nicht für ein Schachbrett entschieden, dann ließen sie neue Rheindeiche und parallel dazu den Ring zwischen Heerdt und Lörick bauen. Dann kam die Brücke, und dann ging’s los. Oberkassel ist vor allem deswegen so typisch Oberkassel, weil alle noch erhaltenen Gebäude innerhalb weniger Jahre entstanden, also in etwa in derselben stilistischen Periode. Allerdings wurden gerade rund um den Belsenplatz wegen des Bahnhofs doch einige Häuser durch Bomben schwer beschädigt oder gar komplett zerstört. Und trotzdem sieht die Randbebauung nicht so viel anders aus als vor 110 Jahren.

Ein Knotenpunkt für den ÖPNV war der Belsenplatz schon immer. Die Gleise hatten Priorität, und die Straßen wurden nach dem ersten Weltkrieg für den Busverkehr optimiert. Das Ganze im Sinne des Tamm’schen Wahns von der autogerechten Stadt für Individualfahrzeuge zu optimieren, war ein hartes Stück Arbeit, das letztlich nicht wirklich gelang. Die Zersplitterung der Haltestellen auf insgesamt sieben Bahnsteige ist eine Spätfolge davon.

Chateau Rikx – hinterm Bahnhof

Hinter dem Bahnhof lauert eine nicht ganz so alte historische Stätte. Heute heißt das schmucklose Ding „Chateau Rikx“ und ist ein ziemlich angesagter Club mit einer treuen Gemeinde, die es gar nicht gern hören, wenn man diese Viertelskneipe so nennt. Der Name bezieht sich auf den legendären Reifenhandel Hendrikx, der dort ab den Fünfzigerjahren hauste und besonders beliebt bei Studenten war – gegen Vorlage des Studentenausweises gab’s dort kräftige Rabatte auf die Arbeitsstunden beim Reifenwechsel.

Überhaupt ist der Belsenplatz auch ein – dem üblichen ständigen Wandel unterliegende – Gastronomiemeile. Hier gab es einst einen McDonald’s, hier hielten sich manche Kultrestaurants nur ein paar Jahre, während es Pommesbuden und olle Cafés auf mehrere Jahrzehnte Überlebenszeit bringen. Und um die Ecke auf der Belsenstraße strahlt das herrlich altmodische Hotel Hanseat den Geist der frühen Jahre aus.

Ein Kommentar

  1. Im Hanseat bringen wir gerne Besucher unter, die von weit her anreisen. Es gibt keine Klimaanlagen oder sonstigen neumodischen Kram, aber es ist einfach ein Hotel mit Herz ❤️