Bericht · Fast ganz aus dem öffentlichen Gedächtnis verschwunden ist eine gastronomische Einrichtung, die nicht lange bestand und ein unrühmliches Ende nahm: das Majolikahäuschen im Hofgarten. Wobei dieses mit bemalter und glasierter Keramik geschmückte Gebäude erst nach der Industrie- und Gewerbeausstellung Düsseldorf von 1902 umgewidmet wurde – zunächst als Milchpavillon, später für kurze Zeit als Gartencafé. Denn ursprünglich wurde der kleine (13,5 mal 11,5 Meter groß) Jugendstilbau als Ausstellungspavillon der Firma Villeroy & Boch errichtet. Außen sollte die Fassade die Möglichkeiten von Keramik-Kacheln, -Fliesen und -Reliefs als Bauschmuck zeigen, innen präsentierte der Hersteller seine ganze Palette an Geschirr. Der Name lehnte sich an das berühmte Majolikahaus in Wien an, dessen geflieste Fassade Ende des 19. Jahrhunderts als Beispiel für hygienisches Bauen galt. [Lesezeit ca. 6 min]
Es kann gut sein, dass die Leute von Villeroy & Boch dachten, mit dem Pavillon zu dieser wegweisenden Ausstellung diese Idee fördern und so einen neuen Markt erschließen zu können, denn dass man Majolika auch außen verwenden könnte, war zur Jahrhundertwende noch neu. Und darum ging es bei dieser Ausstellung, mit der Düsseldorf sich erneut als Messestandort profilieren konnte. Bereits die Provinzial-Gewerbeausstellung 1852 zog bereits viele Menschen aus nah und fern an, die Gewerbe- und Kunstausstellung 1880, die in speziell errichten Hallen am Rand des Zoologischen Gartens stattfand, fand bereits internationale Beachtung.Impuls für die Messe, die auf Initiative Düsseldorfer Industrieller wie Heinrich Lueg durchgeführt wurde, war die Unzufriedenheit damit, dass deutsche Firmen und ihre Erzeugnisse auf den Pariser Weltausstellungen von 1867 und 1878 zu kurz gekommen waren. Um den prächtigen Messen in der französischen Metropole das Wasser reichen zu können, war die Gewerbeausstellung allerdings zu klein. Das, so die Initiatoren, zu denen sich praktisch alle bedeutenden Unternehmer der Stadt und des Umlands gesellten, müsse sich ändern – so entstand der Plan für die Industrie- und Gewerbeausstellung 1902, die tatsächlich in der internationalen Presse teilweise als „kleine Weltausstellung“ etikettiert wurde.
Genau in den 22 Jahren zwischen den beiden Veranstaltungen wurde das gesamte Düsseldorfer Rheinufer zwischen Golzheim und Hamm durch eine Reihe gigantischer Bauprojekte grundlegend verändert. Antreiber waren immer die Wirtschaftsvertreter, die den Standort Düsseldorf in dieser Zeit des industriellen Aufbruchs konkurrenzfähig halten wollten. So entstand zwischen 1886 und 1896 der Hafen auf der Lausward. Von 1898 bis 1902 wurde an der Rheinufervorverlegung gearbeitet; das untere Rheinwerft, das zum Hafen zählte, und die Rheinuferpromenade entstanden. Und dann war da noch die Golzheimer Insel, eine sandige, sumpfige Landzunge, die schon bei geringem Hochwasser überflutet wurde und zu nichts nütze war. Genau dieses Terrain zwischen der Westspitze des Hofgartens und dem Teil, an dem sich heute die Theodor-Heuss-Brücke steht, hatten sich die Macher für die „kleine Weltausstellung“ ausgesucht.
Das Land wurde trockengelegt und bis auf das heutige Niveau aufgeschüttet, das untere Rheinwerft Richtung Norden verlängert. So bekam man ein langgestrecktes, ausreichend großes Ausstellungsgelände. Eingeladen wurden Hunderte von Firmen, die dort eigene Hallen und Pavillons errichten sollten – die waren nach Themenkreisen sortiert. Zwischen dem 1. Mai und dem 20. Oktober 1902 zählte man sage-und-schreibe mehr als fünf Millionen Besucher, mehr als die Hälfte davon aus dem Ausland – sogar Delegationen aus Übersee, zum Beispiel auch aus Japan konnte man begrüßen und ihnen die Innovations- und Wirtschaftskraft Deutschlands präsentieren. In diesem großen Rahmen war der Majolikapavillon der Firma Villeroy & Boch, zumal am äußersten Rand des Geländes gelegen, nur eine winzige Fußnote.
Der Standort am Hofgarten-Eingang zur Ausstellung war wenig attraktiv; heute findet sich exakt am ehemaligen Platz der Kletterspielplatz, gleich nebenan des Ehrenhofs. Aber imposant war der feste, sogar unterkellerte Bau schon. In der wunderbaren Monografie zum Majolikahäuschen (hier im Doc-Player zu lesen) von Melanie Florin finden sich jede Menge Fotos und Beschreibungen der Details. Die Familien Villeroy und Boch kamen sogar aus Mettlach angereist, um den Bau in Augenschein zu nehmen.Allen Ausstellern war klar, dass die Hallen und Pavillons nach Ende der Ausstellung zurückgebaut werden mussten, weil aus dem Gelände ein Park werden sollte. Das betraf zunächst auch das Majolikahäuschen. Aber schon zwei Wochen vor Ende der Ausstellung bot Villeroy & Boch der Stadt den Pavillon als Geschenk an; der Bau sei stabil und gut in Schuss, die Exponate würde man zurücknehmen und das Haus besenrein übergeben.
In den einschlägigen Artikel zur weiteren Geschichte des Majolikahäuschens heißt es immer lapidar, es sei dann als „Milchpavillon“ genutzt worden. Tatsächlich richtete man ein sogenanntes „Milchhäuschen“ ein, wie es seit der Jahrhundertwende besonders an beliebten Ausflugszielen in ganz Deutschland populär geworden war. In Düsseldorf hing diese Nutzung mit der beginnenden, semi-professionellen Milchversorgung der Stadt zusammen, die ab 1930 vom Milchhof am Derendorfer Güterbahnhof übernommen wurde. Milch als Erfrischungsgetränk war um 1910 herum en vogue, die ersten Milch-Shakes, eine US-amerikanische Erfindung, kamen ebenfalls in Mode.
Auch wenn Quellen dazu sehr dünn sind, darf man sich das Milchhäuschen im ehemaligen Villeroy-&-Boch-Pavillon als Selbstbedienungsladen vorstellen; es gab eine Theke, an der man sein Glas Milch in Empfang nahm und zahlte, nahm dann drinnen oder draußen Platz und genoss das kühle (oder im Winter wohl warme) Getränk. Vermutlich bekam man hier auch Sodawasser, das es bereits industriell abgefüllt in Flaschen gab, und die gerade als Markenprodukt erfundene Limonade. Wann genau dieser Betrieb schloss und aus dem Majolikahäuschen ein Gartencafé wurde, ist ebenso wenig bekannt wie der Name des betreibenden Gastronomen. Beliebt soll das kleine Café gewesen sein, heißt es.
Nachdem der zur Ausstellung von 1902 errichte Kunstpalast wie geplant erhalten blieb, fanden dort über die Jahre einige bedeutende Kunst- und Kulturausstellungen statt, aber eine weitere Industrieausstellung gab es vor dem ersten Weltkrieg nicht mehr. Aber schon um 1920 herum keimte bei den Stadtmüttern und -vätern die Idee, aus dem Kunstpalast ein Messegelände zu machen. Die Vergabe der Jahrestagung deutscher Mediziner des Jahres 1926 führte zu der Idee, dies als Anlass einer großen Publikumsmesse zu nehmen. Die Gesolei wurde mit über 7,5 Millionen Besuchern ein gigantischer Erfolg. Die Stadt nahm die Ausstellung aber auch zum Anlass für bedeutende Baumaßnahmen – der Ehrenhof samt der Tonhalle und der Rheinterrasse entstand nach Entwürfen von Wilhelm Kreis im Stil der neuen Zeit.
Auch wenn das Majolikahäuschen außerhalb des geplanten Geländes lag, war es dem berühmten Architekten ein Dorn im Auge, denn ein Jugendstilbau vis-a-vis des expressionistischen Backsteinensembles, das ging nach seiner Meinung gar nicht. Viele Düsseldorfer Künstler, die in unterschiedlichster Funktion an der Planung der Gesolei mitarbeiteten, sahen das ebenso. Es soll wenige Wochen vor Ausstellungsbeginn eine konspirative Sitzung im Malkasten gegeben haben, auf der man den Abriss dieses Kleinods beschloss. Ohne größere Beachtung des Publikums wurde das Majolikahäuschen einfach abgerissen. Wohin die vielen Fliesen und Kacheln gekommen sind, weiß niemand; am alten Standort wurde vor einigen Jahren lediglich ein Mauerrest gefunden.