Lesestück · Die Deutschen und die Franzosen haben ausgerechnet dem kölschen Konrad Adenauer zu verdanken, dass aus Erbfeinden Busenfreunde wurden. Der betrieb nämlich im Verein mit General de Gaulle schon ab 1950 das Ende einer historischen Erzfeindschaft, an der vor allem Napoleon die Schuld trägt. Dazu später mehr. Besiegelt wurde die neue Freundschaft mit dem Vertrag von 1963. Bei uns in der Familie kam davon wenig an, mein Vater hatte aus persönlichen Gründen mehr mit den Briten. Aber so am Rande unseres Fünfzigerjahre-Blickfelds tauchten die ersten Chanson-Sänger*innen auf, die ersten Paris-Fotos, und die Geschichten von Nachbarn, die als Wehrmachtsangehörige 1940 in der Stadt der Lichter als Besatzer waren, klangen sehr attraktiv. Und irgendwann war sie unter uns Jugendlichen da, die Sehnsucht nach Frankreich. [Lesezeit ca. 8 min]
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Wer intellektuell angehaucht war, schwärmte für die Existenzialisten und rauchige Jazzkeller. Die politisch aktivierten sahen den Mai 1968 als Leuchtfeuer. Und wir anderen hatten romantische Vorstellung von kleinen Franzosen und Französinnen, von Rotwein, Baguette und Gauloises sowie etwa ab 1969 vom Döschwo, der Ente. Neben Beatles und Stones stand man auch auf Charles Aznavour, Edith Piaf, Gilbert Becaud und natürlich auch Francois Hardy. Das alles befeuert durch flächendeckenden Französischunterricht in den neusprachlichen Zweigen der Gymnasien – gerade hier in Düsseldorf. Samt den zugehörigen Programmen des Schüleraustauschs. Verrückt genug, dass es trotzdem bis heute keine Partnerschaft Düsseldorfs mit einer französischen Stadt gibt; immerhin pflegt man seit 2003 eine sogenannte „Städtefreundschaft“ mit Toulouse.
Wie es der Zufall will, bekamen wir mit Herrn Paukert zwei Jahre vor dem Abi einen Erdkundelehrer, der ein großer Frankreichfreund war – vermutlich auch angefixt durch seine Zeit als Soldat dort. Der schaffte es tatsächlich im Verbund mit unserem Klassenlehrer, dass uns unsere Klassenfahrt 1971 tatsächlich nach Paris führte. Persönliche Verbindungen zu einem Gewerkschaftsheim nahe der Port Royal machten es möglich, dass wir für sehr kleine Geld unterkommen konnte. Außerdem war im Paris der frühen Siebziger vieles immer noch sehr billig: Essen und Trinken in den Bistros außerhalb der touristischen Ecken, Rotwein in Plastikflaschen im Supermarkt und vor allem französische Zigaretten. Wir alle waren schockverliebt in die Stadt der Liebe, und ich bin seitdem sicher hundertmal dort gewesen.
Nur: Französische Spuren fanden sich in Düsseldorf damals so gut wie keine. Zumal es auch keine nennenswerte französische Gemeinde in der NRW-Landeshauptstadt gab (und gibt). Französisch angehauchte Bistros in der Altstadt? Fehlanzeige. Französische Restaurants in der Stadt? Mangelware. Aber schon 1950 eröffnete die Düsseldorfer Dependance des 1949 als wichtigem Baustein der deutsch-französischen Freundschaft gegründeten Institut français, die nun schon seit Jahrzehnten im wunderschönen Palais Wittgenstein am Rande der Altstadt sitzt. Dort konnte man (kostenlose) Französischkurse belegen, dort entstand eine Bücherei und inzwischen bietet das Institut ein reiches Kulturprogramm (wenn die Corona-Pandemie nicht gerade dazwischenkommt).
Nachdem Paris (neben London, natürlich…) zum Traumziel avanciert wurde, verbreitete sich der Mythos vom süßen Leben in Südfrankreich unter den jungen Menschen im Land. Da wollte mal hin, da wollte man Ferien machen. Und am liebsten wollte man mit dem Auto dahinfahren, im Idealfall selbstredend mit einem echten Citroën 2CV. Wobei die Kinder wohlhabenderer Eltern gern auch mal einen Renault R4 zum Abi geschenkt bekamen; der war genauso authentisch. Auch für mich begann 1973 eine fast endlose Kette an Urlaubsreisen nach Frankreich, die mit einer verrückten Tour mit Freunden an die Atlantikküste südlich von Bordeaux im September 1973 startete. Im selben Jahr führte mich und meine erste Ehefrau die Hochzeitsreise nach Paris, und 1974 unternahmen wir, begleitet von meiner Schwester eine vierwöchige Tour de France, die das Elsass, Savoyen, die Camargue, les Landes und Teile der Bretagne und der Normandie umfasste.
Damals war das alles noch viel einfacher. Wir befuhren teilweise die berüchtigten dreispurigen Schnellstraßen (Autobahnen gab es damals fast noch keine) mit der gemeinsamen Überholspur für beide Richtungen, wichen aber gern auf Landstraßen aus, wo man alle paar Kilometer unglaubliche billige Unterkünfte fand, meist mit angeschlossener Gastronomie. Der Sprit war billig, ein ganzes Baguette belegt mit Fromage oder Jambon gab es für ein paar Centimes bei jedem Bäcker. Wir fuhren und staunten, lernten wundervolle Menschen kennen, die kein Wort Deutsch sprachen, aber herzlich und aufgeschlossen waren – kurz: es war eine Traumreise.
Und in Düsseldorf? Je mehr junge Leute Frankreich bereisten, desto mehr stieß man nun auch in unserer kleinen Großstadt auf die Spuren französischer Lebensart. Die Kultur, die populäre vor allem, repräsentiert durch die Musik und den Film, die aber wurde ab Mitte der Siebzigerjahre immer mehr von der US-amerikanischen Entertainment-Industrie verdrängt. Nich mehr Jean-Paul Belmondo, Jeanne Moreau und Lino Ventura waren die Filmheld*innen, sondern eben die Hollywood-Stars. Hörte man in den Sechzigern in der Altstadt neben der Beat- und späteren Rockmusik auch französische Chansons, galt man Ende der Siebziger schon als verschroben, wenn man sich für die französischen Popgrößen jener Zeit begeistern konnte.
Und das, obwohl immer mehr Menschen ihren Urlaub an der französischen Mittelmeerküste verbrachten, in der Normandie und der Bretagne oder Gourmet-Touren durchs Elsass und die Auvergne unternahmen. Den französischen Nationalfeiertag am 14. Juli feierten bis weit in die Neunzigerjahre hinein nur Düsseldorfer mit persönlichen oder familiären Banden. Das änderte sich im Jahr 2000. Denn in jenem Sommer veranstaltete die Düsseldorfer Wirtschaftsförderung das erste Frankreichfest, das inzwischen fester Bestandteil des hiesigen Event-Kalenders ist (wenn die Corona-Pandemie nicht gerade dazwischenkommt). Nun war und ist dieses Fest eine durchaus kommerzielle Angelegenheit, aber eben auch die Gelegenheit für die Düsseldorfer*innen alles, was in der Stadt irgendwie französisch ist, kennenzulernen. So wird die deutsch-französische Freundschaft, die zwischendurch wenig sichtbar war, wieder belebt.
Dabei hätte gerade die schönste Stadt am Rhein Grund genug, immer noch böse auf die Franzosen zu sein. Denn zweimal war Düsseldorf französisch besetzt. Einmal – nämlich unter Napoleon I. Bonaparte zwischen 1806 und 1813 – durchaus zum Nutzen der Stadt. Ein anderes Mal – von 1921 bis 1925 im Rahmen der Ruhrbesetzung – eher unter unfreundlichen Aspekten. Während Köln und das Rheinland auf der linken Seite Teil Frankreichs wurde, wurde Düsseldorf Hauptstadt des Großherzogtums Berg von Napoleons Gnaden, was zu allerlei Bau- und Verschönerungsmaßnahmen führte, sodass die Bürger*innen den Kaiser 1811 durch mit Wohlwollen empfingen. Es war die flüchtige Begeisterung Napoleons für unser Städtchen, das den Spitznamen „Klein Paris“ begründete. Denn, seien wir ehrlich, die Ähnlichkeiten zwischen der Metropole an der Seine und unserem niedlichen Dorf an der Düssel sind bei näherer Betrachtung eher gering.
Was aber die kurze napoleonische Zeit auslöste war eine erste Frankreichbegeisterung der kunst- und kulturinteressierten Düsseldorfer*innen. Da gab es jede Menge Fans der französischen Revolution, die auch gern Freiheit, Gleichheit und Bürgerlichkeit in einem deutschen Nationalstaat gehabt hätten und die Revolution von 1848 betrieben, und das schielten hiesige Künstler auf die überlebensgroßen Vorbilder in Frankreich. Den vielleicht größten Sohn unserer Stadt, Heinrich „Harry“ Heine, trieb es sogar nach Paris, wo ihm aber beim Denken an seine Heimat ganz wunderlich zumute wurde. Statt eines demokratisch verfassten Nationalstaats bekamen die Deutschen dann leider doch ein preußisches Kaiserreich als Ergebnis eines provozierten Krieges, den die Preußen 1871 gewannen.
Der Erzfeind – der Frankreich nie war; der Begriff ist eine üble Propagandalüge! – war geschlagen, aber das gefiel dem Erzfeind nicht. Und der erste Weltkrieg bot Gelegenheit sich zu rächen. Der Ausgang ist bekannt. Der Friedensvertrag wurde in Versailles, also nebenan von Paris, geschlossen, und die Franzosen fühlten sich nicht nur als Sieger, sondern ließen den Eroberer raushängen. So wurde das 1919 zur Republik gewordene Deutschland zu heftigen Reparationsleistungen verpflichtet, besonders zur stetigen Lieferung von Kohle, Stahl und Eisen aus dem Ruhrgebiet. Anfang 1923 behaupteten die Alliierten, Deutschland sei mit den Reparationsleistungen schwer im Rückstand und bezichtigten die politisch Verantwortlichen der Sabotage. Die militärische Besetzung des Ruhrgebiets und des rechtsrheinischen Rheinlands war die Konsequenz – dies war Wasser auf die Mühlen der sich breitmachenden Nationalsozialisten, die den Widerstand organisierten.
Dieselben Kräfte, die nur drei Jahre zuvor die Märzrevolution der deutschen Arbeiter mit den antidemokratischen Freikorps blutig niederschlugen und im Ruhrgebiet, aber auch in Düsseldorf die Mitglieder der Roten Ruhrarmee niedermetzelten. Die Nazis nannten den Widerstand gegen die französische Besetzung den „Ruhrkampf“ und setzten auf Brand- und Bombenanschläge als Formen der Sabotage. Ein gewisser Albert Leo Schlageter wurde im Mai 1923 gefasst; die französische Militärverwaltung machte ihm den Prozess, der mit dem Todesurteil endete, das am 26. Mai durch Erschießen in der Golzheimer Heide vollstreckt wurde. Die Nazis hatten nun einen Märtyrer, um den herum sie einen gewaltigen Kult aufbauten. Dieses Mal profitierte der Schreibtisch des Ruhrgebiets also nicht von den Franzosen.
Genau in dieser Phase zeigte sich aber eine andere Bewegung, in der unser späterer erster Bundeskanzler, der bereits erwähnte Konrad Adenauer, eine nicht unbedeutende Rolle spielte. Ermutigt durch die französische Besatzung und durch politische Kräfte in Frankreich und Belgien unterstützt träumten Separatisten von einer Rheinischen Republik, die losgelöst von den verhassten Preußen als eigenständiger Staat an Frankreich angelehnt existieren sollte. Das fanden die anderen Alliierten nicht witzig, sodass Frankreich und Belgien ihre Unterstützung zurückzogen. Mit eigenen Schutztruppen, die ihren Unterhalt durch Requirieren bei der eher unwilligen Bevölkerung bestritten hatten, versuchten die Separatisten ihre kurzen Sommer der Republik mit militärischer Gewalt zu verlängern, aber im November 1923 war der Traum ausgeträumt. Diese merkwürdige Phase in der Beziehung zwischen Frankreich und dem Rheinland hat allerdings kaum Spuren hinterlassen.
Wie geht es weiter mit Düsseldorf und den Franzosen? Nicht wenige frankophile Bürger*innen, unter ihnen auch der damalige OB Geisel, dachten, den Start der Tour de France 2017 nach Düsseldorf zu verlegen könnte die Freundschaft aufleben lassen. Aber nach dem für uns Steuerzahler teuren Spektakel änderte sich so wenig wie nach jedem jährlichen Frankreichfest. Das ist schade, und es wäre wirklich der Mühe wert, Klein Paris wieder zum Ausgangspunkt einer neuen Frankreichbegeisterung zu machen.
[Unsere kleine Serie „Düsseldorf und die…:
1. Folge: Düsseldorf und die Italiener
2. Folge: Düsseldorf und die Briten]