Lesestück · Einmal als wir eines Sonntags spazierengingen, die steile Aluminiumbrücke zwischen dem Messegelände und der Rheinterrasse überquert hatten und zur Rampe runter zum Robert-Lehr-Ufer kamen, fragte ich meinen Vater, warum es denn da unten überhaupt eine Straße gäbe. Seine Antwort war verblüffend schlicht: Damit die Autos auf den Parkplatz kommen. Das war in den frühen Sechzigerjahren als die Messe noch zwischen Fischerstraße und B1 lag, und diese Fußgängerbrücke die einzige Möglichkeit darstellte, die starkbefahrene Straße halbwegs gefahrlos zu passieren. Die Rampe verlief und verläuft parallel zur mächtigen Natursteinmauer und ist links mit einer ebenso massiven Mauer eingefasst. Und auf der wohnt seit 1925 die Wasserschlange. [Lesezeit ca. 6 min]
Es galt als Mutprobe, so lange auf dem Mäuerchen zu balancieren, bis einen der 25 Meter lange Schwanz der Schlange, der anfangs knapp knöchelhoch ist und stetig wächst, dazu zwingt abzuspringen. Bis zum gewaltigen eckigen Kopf kam niemand. Schon seit 1925 thront das heutzutage maschinengrün angestrichene Stahlwesen hier. Es wurde vom Bildhauer Hans Reissinger entworfen und aus Mannesmann-Röhren und gestanzten Teilen als Wahrzeichen für den Hochwasserschutz installiert. Dies zu Zeiten als das Gelände, das heute der Rheinpark Golzheim ist, ein zweites Mal aufgeschüttet und so für die Ausstellung GeSoLei vorbereitet.
Dieses Gelände bestand bis um die Jahrhundertwende vorwiegend aus sumpfigen Wiesen, die zu nichts nütze waren, zumal sie bei Hochwasser überflutet wurden. Weil sich der Rhein dann jenseits der Wiesen etwa auf Höhe der heutigen Cäcilienallee sammelt und so drumherum floss, sprach man seit ewigen Zeiten von der Golzheimer Insel. Die lag bei normalem Pegelstand kaum ein, zwei Meter oberhalb des Rheinwassers, das bis zur Rheinufervorverschiebung im Jahr 1898 an einem Ufer leckte, das man sich ungefähr so vorstellen kann, wie das linksrheinische Ufer zwischen Oberkasseler und Theodor-Heuss-Brücke, nur ohne Kribben.
Diese das Bild Düsseldorfs entscheidend verändernde Maßnahme hatte zu tun mit der Notwendigkeit, der Stadt einen echten Hafen zu verpassen. Mit dem Thema beschäftigten sich viele Köpfe, unter anderem der von W. T. Mulvany, dem irischen Unternehmer, der den Bergbau im Ruhrpott revolutionierte. Der machte den schrägen Vorschlag, das gesamte rechtsrheinische Ufer des Rheins zum Hafen umzufunktionieren, und den Durchgangsverkehr über einen Stichkanal zwischen Lörick und Heerdt umzuleiten. Damit konnte er sich nicht durchsetzen. Stattdessen beschlossen die Stadtväter (Frauen war im Rat damals nicht vertreten), beginnend mit dem Berger Hafen (der lag da, wo heute Landtag und Rheinturm stehen) weitere Hafenbecken auf der Lausward einzurichten.
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Außerdem sah man vor, durch das Vorverlegen des Ufers eine Zone zum Anlegen, Löschen und Beladen der Kähne unterhalb der Altstadt entstehen zu lassen: das Untere Rheinwerft. Das reichte also ungefähr von da, wo heute das Apollo-Varieté unter der Kniebrücke steht bis zu dem Punkt, der durch die erwähnte Rampe beschrieben wird. Die Gleise der Eisenbahn reichten bis auf Höhe der Oberkasseler Brücke, dazu kamen Schienen für die Kräne. Die Kasematten als Hohlräume unter dem Oberen Rheinwerft dienten als Lagerräume. Das Obere Rheinwerft war als prächtige Promenade mit allem, was heute noch zu sehen ist (wie der Pegeluhr), geschmückt und gekrönt vom Düsselschlösschen unterhalb des Schlossturms als gastronomischem Highlight.
Der Maler Fritz Roeber, nach dem die Straße unterhalb der Kunstakademie benannt ist, hatte die Idee, der Industrielle Heinrich Lueg, Gründer Oberkassels und der Rheinbahn, griff sie auf. Er schlug vor, dass die Stadt die Golzheimer Insel erwerben, trocken- und höher legen sollte, damit sie als Ausstellungsgelände genützt werden könnte. Man folgte ihm, und 1902 fand hier die Industrie- und Gewerbeausstellung statt, die Düsseldorf auf einen Schlag als bedeutenden Messeplatz in Deutschland und darüber hinaus bekannt machte.
Es war eine andere Messe, die Düsseldorf nach dem ersten Weltkrieg dann tatsächlich berühmt machte: die GeSoLei. Die Große Ausstellung für Gesundheit, soziale Fürsorge und Leibesübungen fand vom Mai bis Oktober 1926 genau auf dem Gelände statt, das noch ein Vierteljahrhundert zuvor vor allem aus Matsch bestand. Auf den 24 Hektar, die heute den Rheinpark ausmachen sowie dem Ehrenhof und einigen Außengeländen tummelten sich alles in allem 7,5 Millionen Besucher, die diese Ausstellung zur größten machten, die es in Deutschland je gegeben hatte.
Für die Gesolei wurde der damalige Kaiser-Wilhelm-Park noch einmal um ein, zwei Meter angehoben und durch eine 2,5 Kilometer lange Natursteinmauer geschützt. Nach dem Ende der Ausstellung und dem Rückbau Dutzender Pavillons, Türme und auch Steinbauten begann man, das Gelände wieder als Park herzurichten – mit besonderem Augenmerk auf die Liegewiesen für das Volk. Das ist der Rheinpark Golzheim bis heute geblieben. Seit Jahrzehnten treten hier Hobbyfußballer gegeneinander an, die ihre bisweilen fast professionellen Torgestänge die Woche über im Gebüsch verstecken. An manchem Wochenende sind es Dutzende Teams, die sich zum Kick treffen. Hier spielt man Frisbee, hier trifft man sich mit den Fiffis im Hundeauslauf, hier lagern Familien in der Sonne, und manchmal breiten Verliebte eine Decke über sich, unter der sie lieb zueinander sind.
Das alles habe ich mein Leben über auch im Rheinpark getan. In meinen Jahren an der Kunstakademie entwickelte ich eine Manie, nämlich den Blick vom Nordende über die Wiesen zeichnerisch festzuhalten; Dutzende Skizzen sind so entstanden. Und wenn ich sie heute betrachte, fällt mir auf, wie groß die Bäume inzwischen gewachsen sind. Außer denen, die der böse Sturm Ela am 9. Juni 2014 umriss und so killte.
Als der legendäre Zirkus Roncalli 1989 wegen der Umgestaltung rund um die durch einen Tunnel ersetzten Hochbrücke der B1 auf Höhe des heutigen Landtags den gewohnten Standort für seine Gastsspiele verlor, brandete eine wilde Diskussion darum auf, wo der Zirkus denn nun spielen könnte. Dass er nicht an die Peripherie, zum Beispiel auf den Staufenplatz, verbannt werden, sondern in der Nähe der Altstadt verbleiben sollte, war klar. Man entschied sich unter großen Protesten der Bevölkerung für den Rheinpark Golzheim, der so zum ersten Mal nach 1926 wieder ein temporäres Bauwerk ertragen musste.
Die Geschichte wiederholte sich. 1993 musste das von den Düsseldorfer heißgeliebte und von der Brauerei Frankenheim gesponsorte Freiluftkino nach sechs wundervollen Kinosommern wegen der Beschwerde eines einzelnen Hausbesitzers den Burgplatz verlassen. Wieder galt es, einen Platz unweit der Altstadt zu finden, und wieder fiel die Wahl auf den Rheinpark Golzheim. Die Proteste blieben gering, und inzwischen hat sich dieser Standort für das Open-Air-Cinema etabliert. Ganz frisch: Im Seuchensommer 2020 richteten pfiffige Menschen an der Stelle, an der sonst das Kino zu finden war, einen kleinen Biergarten mit Bühne ein und boten ein buntes Programm unter corona-gerechten Bedingungen.
Und warum heißt die „nutzlose“ Straße unterhalb der Schutzmauer nun Robert-Lehr-Ufer? Sie wurde benannt nach dem OB, der ab 1924 Düsseldorf groß gemacht hat, nach dem Mann, der dem kölschen OB im Kampf um die Position der wichtigsten Rheinmetropole den Fehdehandschuh hingeworfen und den bis heute andauernden Konkurrenzkampf (den es vorher so nicht gab) in Gang setzte.