Bericht · Wer über die Plockstraße in den Hafen hinein oder aus ihm heraus fährt und dabei kurz Richtung Süden schaut, wird ein eigenartiges Bauwerk bemerken. Vermutlich wird es ihm/ihr nur wegen des rotweißgestreiften Aufbaus am Rande des Daches auffallen. Der erinnert an ein Flughafengebäude, und ohne ihn könnte man das Ding leicht für eine beliebige Fabrikhalle halten. Tatsächlich sieht man das Prozessgebäude des Oberlandesgerichts am Kapellweg in Hamm. [Lesezeit ca. 5 min]
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Das graue, von einem hohen, blickdichten Zaun umgebene Gebäude steht zwischen dem Behördenviertel an der Völklinger Straße und den Feldern am Ortsrand von Hamm. Die offizielle Adresse lautet Kapellweg 36. Tatsächlich gibt es kein weiteres Haus mit einer Hausnummer an diesem schmalen Fahrweg, der an der Jan-Wellem-Kapelle von der Fährstraße in Richtung Hafen abbiegt. An der bewussten Hausnummer findet man den Eingang für Besucher und Medienvertreter. Wer den – nur bei öffentlichen Verhandlungen möglich – benutzt, wird mit Sicherheitsmaßnahmen deutlich über Flughafenniveau konfrontiert, bevor er/sie den nüchternen Saal betreten kann.
Im Januar 2004 wurde das OLG-Prozessgebäude, damals noch praktisch auf freiem Feld, nach kaum einem Jahr Bauzeit eröffnet. Es löste das alte „Terroristengericht“ an der Derendorfer Tannenstraße auf dem Gelände der ehemaligen Ulanengarnison und Polizeikaserne ab. Das war 1975 nach sehr teuren Umbauten für den Prozess gegen die mutmaßlichen Attentäter:innen des Generalbundesanwalt Siegfried Bubak eröffnet worden. Später fanden dort weitere Verhandlungen gegen RAF-Mitglieder, Islamisten und andere Personen statt, die besonders scharfe Sicherheitsmaßnahmen erforderten.
Als das Bundeskriminalamt dem Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf signalisierte, dass nach den Anschlägen vom 11. September 2001 mit einer wachsenden Zahl Verfahren gegen islamistische Terroristen zu rechnen sei, schlug Ottmar Breiding, damals Vorsitzender Richter des 6. Strafsenats, vor, einen bis dahin beispielslosen Hochsicherheitsbau auf die grüne Wiese zu stellen. Weil allen Verantwortlichen klar war, dass ein Aufrüsten des alten Trakts an der Tannenstraße unmöglich war und weil die Planungen für die Umwandlung des Gelände zum Wohngebiet bereits begonnen hatten, traf er mit seinem Vorschlag auf einhellige Zustimmung.
Breiding gilt als einer der erfahrensten Richter in Sachen Terrorismus und politischer Extremismus in Deutschland, besonders rund um islamistische Terrororganisationen und Täter. Klar war auch, dass man sich bei der Planung an keinem bestehenden Bauwerk dieser Art würde orientieren können; der modernste Hochsicherheitsgerichtssaal war damals der von Stuttgart-Stammheim, und der stammte aus den Siebzigern. Gemeinsam mit Experten definierte Breiding nach dem Baubeschluss im Mai 2002 Sicherheitsstandards, die über das OLG-Prozessgebäude in Hamm hinaus bis heute bundesweit anerkannt sind.
Weil es sich grundsätzlich um einen reinen Zweckbau handelt, wurden gestaltende Architekten nicht benötigt. Deshalb kam das renommierte und erfahrene Planungs- und Bauleitungsbüro Wachenfeld & Endert in Erkrath zum Zug. Die Baukosten beliefen sich nach Angaben des OLG auf 32 Millionen Euro, etwas mehr als zwölf Monate nach dem ersten Spatenstich war das Prozessgebäude im Januar 2004 einsatzbereit. Neben den beiden Gerichtssälen, die auf besonderen Wunsch Breidings durch Fensterbändern mit Tageslicht beleuchtet werden, gibt es jede Menge Büros und natürlich auch Gewahrsamszellen für Angeklagte.
Die können aus der jeweiligen JVA ihrer Untersuchungshaft per Helikopter zu Verhandlungen gebracht werden; das markante, über dem eigentlichen Gebäude thronende, leicht überkragende Dach ist nämlich ein Hubschrauberlandeplatz. Das mit weißen und signalroten Streifen markierte Bauteil an der nordöstlichen Ecke dient gleichzeitig als optischer Orientierungspunkt für die Piloten und als Zugang zum Inneren. Diese Funktion erklärt auch den markanten Windsack auf dem Anbau. Sollen Prozessteilnehmer sicher über Straßen zum Hochsicherheitsbau gebracht werden, biegen sie direkt an der Fährstraße in einen Tunnel ein, der bis unter des Gebäude führt.
Der erwähnte Zaun bildet sozusagen die letzte Barriere. Zurzeit ist das OLG-Prozessgebäude an drei Seiten von Parkplätzen umgeben, die von den Mitarbeitenden der Behörden an der Völklinger Straße umgeben. Die sind durch ein Labyrinth aus Maschendrahtzäunen vom Sichtschutzzaun abgetrennt. Zur Fährstraße hin findet sich ein wildbewachsenes Stück Brachland, das ebenfalls zusätzlich gesichert ist. Natürlich gibt das OLG keine Auskunft zu den unsichtbaren Sicherheitseinrichtungen und der Bewachung des Hochsicherheitsbau in Zeiten, wenn keine Prozesse laufen.
Bisherige Prozesse im OLG-Hochsicherheitsbau
2004 ~ 2005: Prozess gegen drei Mitglieder sowie einen Unterstützer des Terrornetzwerks Al Tawhid; die Angeklagten, die zu den Vorwürfen schwiegen, wurden zu Haftstrafen zwischen fünf und acht Jahren verurteilt.
2007 ~ 2008: Prozess gegen einen der so genannten „Kofferbomber von Köln“, der wegen versuchten Mordes an einer unbestimmten Anzahl Menschen und versuchter Herbeiführung einer Sprengstoffexplosion zu lebenslanger Haft verurteilt wird.
2009 ~ 2010: Prozess gegen die sogenannte „Sauerland-Gruppe“. Die Hauptangeklagten und ein Helfer gestehen nach einiger Zeit umfassend. Sie werden zu Haftstrafen zwischen fünf und zwölf Jahren verurteilt.
2019 ~ 2021: Prozess gegen Nils D. wegen Mitgliedschaft im Terrornetzwerk „Islamischer Staat“. Der Ageklagte wird nach einer Prozessdauer von 26 Monaten zu einer Freiheitsstrafe von 10 Jahren verurteilt.
Ein Kommentar
Einer der ersten Prozesse, die zumindest teilweise in dem Gebäude abgehalten wurden war das Verfahren gegen Ackermann. Der Grund war simpel: der Saal war der einzige, der damals für eine Video-Befragung von Zeugen in Japan ausgestattet war.